2004 03: Sueddeutsche Zeitung Das Geheimnis der Piraten: Difference between revisions

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==<font color=orange>Neue Erkenntnisse über den 600 Jahre alten vermeintlichen Schädel von Klaus Störtebeker</font>==
==<font color=orange>Neue Erkenntnisse über den 600 Jahre alten vermeintlichen Schädel von Klaus Störtebeker</font>==


[Weitere [[All Mark Benecke Publications|Artikel von MB]]] [Artikel [http://wiki2.benecke.com/index.php?title=Media#Interviews_.26_Articles <font color=lightgrey>über MB</font>]]<br>


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'''VON MARK BENECKE'''<BR>


[Die Konservierung [1999 01 Die Zeit: Manche Tote leben laenger Lenins]]<br>
'''Von: Mark Benecke'''<BR>


<html><a href="http://wiki2.benecke.com/images/7/7c/2004_03_Sueddeutsche_Zeitung_Das_Geheimnis_der_Piraten_Mark_Benecke.pdf" target="_blank"><img src="http://wiki2.benecke.com/images/3/3c/2004_03_Sueddeutsche_Zeitung_Das_Geheimnis_der_Piraten_Mark_Benecke_preview.jpg" border="0" height="150" align="middle"><figcaption>Klick für den Originalartikel!</figcaption></a></html>  
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Große Verbrecher bestehen nicht nur in Erzählungen fort. Oft wurden auch ihre Schädel oder Gesichter ausgestellt. Das berühmteste Ausstellungs-Stück war im Süden Deutschlands das Haupt von Mathias Kneißl. Als dieser angebliche Rächer der Armen 1901 gefasst wurde, rankte um ihn schon die Geschichte des charismatischen Partisanen. Bis zu einem Bomben-Treffer 1944 stand Kneißls Schädel in der öffentlichen Sammlung der Münchener Anatomie.<br>
Große Verbrecher bestehen nicht nur in Erzählungen fort. Oft wurden auch ihre Schädel oder Gesichter ausgestellt. Das berühmteste Ausstellungs-Stück war im Süden Deutschlands das Haupt von Mathias Kneißl. Als dieser angebliche Rächer der Armen 1901 gefasst wurde, rankte um ihn schon die Geschichte des charismatischen Partisanen. Bis zu einem Bomben-Treffer 1944 stand Kneißls Schädel in der öffentlichen Sammlung der Münchener Anatomie.<br>


Das norddeutsche Gegenstück zum Räuber Kneißl ist der Pirat Klaus Störtebeker. Obwohl über ihn nur wenige Worte erhalten sind, erschufen die Hanseaten im 18. und 19. Jahrhundert eine romantische Räubergeschichte, in der sich mündliche Überlieferungen des Hafen-Milieus mit der passenden Dramaturgie vermengten. So soll der in der bürgerlichen Fantasie "hochragende, gewaltige und schreckliche" Mann, nachdem ihm im Jahr 1401 auf dem Grasbrook vom Henker der Kopf abgeschlagen wurde, angeblich noch an den aufgereihten Kameraden vorbeigeschwankt sein. "Man träumte den goldenen Jahren nach" , vermutet Ralf Wiechmann vom Museum für Hamburgische Geschichte. "Störtebeker wurde übertrieben stark dargestellt, um die schwindende Macht der Hanse-Behörden, die ihn geschnappt hatten, größer erscheinen zu lassen."<br>
Das norddeutsche Gegenstück zum Räuber Kneißl ist der Pirat Klaus Störtebeker. Obwohl über ihn nur wenige Worte erhalten sind, erschufen die Hanseaten im 18. und 19. Jahrhundert eine romantische Räubergeschichte, in der sich mündliche Überlieferungen des Hafen-Milieus mit der passenden Dramaturgie vermengten. So soll der in der bürgerlichen Fantasie "hochragende, gewaltige und schreckliche" Mann, nachdem ihm im Jahr 1401 auf dem Grasbrook vom Henker der Kopf abgeschlagen wurde, angeblich noch an den aufgereihten Kameraden vorbeigeschwankt sein. "Man träumte den goldenen Jahren nach" , vermutet Ralf Wiechmann vom Museum für Hamburgische Geschichte. "Störtebeker wurde übertrieben stark dargestellt, um die schwindende Macht der Hanse-Behörden, die ihn geschnappt hatten, größer erscheinen zu lassen."<br>


Bis heute sind im Hamburger Museum zwei Schädel von "Piraten, hingerichtet auf dem Grasbrook" ausgestellt. Trotz der musealen Zurückhaltung ist im Norden jeder überzeugt, dass einer der beiden das Haupt des fürchterlichen Klaus Störtebeker ist. Da Beweise fehlten, beschlossen Archäologe Wiechmann, der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel und der Anthropologe Günter Bräuer, genauer nachzuforschen. Ihr mit Röntgenkundlern, Anatomen und Historikern verstärktes Team stellte in der vergangenen Woche die Ergebnisse vor. Den Todes-Zeitpunkt konnte das C14-Labor der Universität Oxford anhand des im Schädel enthaltenen Kohlenstoff-Isotops auf die Zeit zwischen 1380 und 1450 eingrenzen. "Am Fundort, dem Grasbrook, gab es in dieser Zeitspanne aber nur drei Hinrichtungen mit insgesamt 90 Toten. Darunter waren mit Sicherheit auch Störtebeker und seine Männer", berichtet Wiechmann. "Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Schädel von Störtebeker stammt, lag damit bei 1:89."<br>
Bis heute sind im Hamburger Museum zwei Schädel von "Piraten, hingerichtet auf dem Grasbrook" ausgestellt. Trotz der musealen Zurückhaltung ist im Norden jeder überzeugt, dass einer der beiden das Haupt des fürchterlichen Klaus Störtebeker ist. Da Beweise fehlten, beschlossen Archäologe Wiechmann, der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel und der Anthropologe Günter Bräuer, genauer nachzuforschen. Ihr mit Röntgenkundlern, Anatomen und Historikern verstärktes Team stellte in der vergangenen Woche die Ergebnisse vor. Den Todes-Zeitpunkt konnte das C14-Labor der Universität Oxford anhand des im Schädel enthaltenen Kohlenstoff-Isotops auf die Zeit zwischen 1380 und 1450 eingrenzen. "Am Fundort, dem Grasbrook, gab es in dieser Zeitspanne aber nur drei Hinrichtungen mit insgesamt 90 Toten. Darunter waren mit Sicherheit auch Störtebeker und seine Männer", berichtet Wiechmann. "Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Schädel von Störtebeker stammt, lag damit bei 1:89."<br>


Auffallend war auch, dass durch beide Schädel jeweils ein sehr langer Nagel von oben nach unten führte. Damit hatten die Henker einst die Köpfe nach der Hinrichtung auf einen Pflock am Hafen geschlagen, um Übeltäter abzuschrecken. Ungewöhnlich war, dass man bei Schädel "Grasbrook 1" mit einer sehr scharfen Klinge, womöglich einem Enter-Messer, sorgfältig eine Öffnung in die Kalotte gehämmert hatte. Der Aufstellnagel ließ sich nun einfach durch diese vorgeformte Öffnung schieben, ohne dass der Knochen beim Nageln zersplittern konnte. Offenbar sollte der abgetrennte Kopf nicht in Stücken am Pfahl verfaulen, sondern den lebenden Verbrechern möglichst lange und in Ganzheit mahnend entgegen starren. Da man sich solche Mühe mit normalen Piraten nicht machte, muss es sich um den Hauptmann der Halunken gehandelt haben. In Frage kommen hier nur zwei Kandidaten: Entweder Klaus Störtebeker oder der ein Jahr später hingerichtete Gödeke Michels. Beide waren als Piraten-Anführer so erfolgreich, dass sie die Hanse nicht nur finanziell, sondern auch in ihrem Ruf schädigten.<br>
Auffallend war auch, dass durch beide Schädel jeweils ein sehr langer Nagel von oben nach unten führte. Damit hatten die Henker einst die Köpfe nach der Hinrichtung auf einen Pflock am Hafen geschlagen, um Übeltäter abzuschrecken. Ungewöhnlich war, dass man bei Schädel "Grasbrook 1" mit einer sehr scharfen Klinge, womöglich einem Enter-Messer, sorgfältig eine Öffnung in die Kalotte gehämmert hatte. Der Aufstellnagel ließ sich nun einfach durch diese vorgeformte Öffnung schieben, ohne dass der Knochen beim Nageln zersplittern konnte. Offenbar sollte der abgetrennte Kopf nicht in Stücken am Pfahl verfaulen, sondern den lebenden Verbrechern möglichst lange und in Ganzheit mahnend entgegen starren. Da man sich solche Mühe mit normalen Piraten nicht machte, muss es sich um den Hauptmann der Halunken gehandelt haben. In Frage kommen hier nur zwei Kandidaten: Entweder Klaus Störtebeker oder der ein Jahr später hingerichtete Gödeke Michels. Beide waren als Piraten-Anführer so erfolgreich, dass sie die Hanse nicht nur finanziell, sondern auch in ihrem Ruf schädigten.<br>


Auch Peter Pieper, forensischer Archäologe am Institut für Rechtsmedizin in Düsseldorf hebt die Sonderbehandlung von Schädel 1 hervor. Die Köpfe aller Banden-Mitglieder- allein aus Störtebekers Mannschaft waren es 73 Vitalienbrüder - auf einzelne Pfähle zu nageln, "hätte nicht nur einen erheblichen Materialaufwand an Holz und Eisen bedeutet, sondern auch eine sehr hohe Entlohnung des Henkers und seiner Knechte." Als die Schädel der Piraten im Jahr 1878 bei Erdarbeiten wieder auftauchten, waren sie rötlich-braun verfärbt. Obwohl eine Atommassen-Absorptions-Messung viel Eisen in den Knochen nachwies, ist das nicht der Grund für ihre dunkle Farbe. Vielmehr haben Humin-Säuren das diffuse Braun erzeugt. Die Boden-Säuren durchzogen die toten Piraten-Köpfe im Laufe der Jahrhunderte ebenso wie die im Dünnschliff erkennbaren Sprossungen von Pilz-Geflechten.<br>
Auch Peter Pieper, forensischer Archäologe am Institut für Rechtsmedizin in Düsseldorf hebt die Sonderbehandlung von Schädel 1 hervor. Die Köpfe aller Banden-Mitglieder- allein aus Störtebekers Mannschaft waren es 73 Vitalienbrüder - auf einzelne Pfähle zu nageln, "hätte nicht nur einen erheblichen Materialaufwand an Holz und Eisen bedeutet, sondern auch eine sehr hohe Entlohnung des Henkers und seiner Knechte." Als die Schädel der Piraten im Jahr 1878 bei Erdarbeiten wieder auftauchten, waren sie rötlich-braun verfärbt. Obwohl eine Atommassen-Absorptions-Messung viel Eisen in den Knochen nachwies, ist das nicht der Grund für ihre dunkle Farbe. Vielmehr haben Humin-Säuren das diffuse Braun erzeugt. Die Boden-Säuren durchzogen die toten Piraten-Köpfe im Laufe der Jahrhunderte ebenso wie die im Dünnschliff erkennbaren Sprossungen von Pilz-Geflechten.<br>


Zu Lebzeiten stand der Schädel seinem Besitzer hingegen gut zu Haupte: Ein Vorderzahn war ausgeschlagen, und auf der Stirn fanden sich die knöchernen Reste verheilter Hiebe. Schlechte Zähne hatte der bei seinem Tod erst 25 bis 35 Jahre alte Mann auch. Das lag aber nicht am bei Seefahrern verbreiteten Vitamin-Mangel, sondern, wie der Göttinger Anatom Michael Schultz ermittelte, an mangelnder Mundhygiene des Schreckens der Meere. Vieles spricht dafür, dass "Grasbrook 1" das Haupt von Störtebeker ist. Wie die Kammerei-Rechnungen der Hanse zeigen, war aber Störtebekers einziger Konkurrent Gödeke Michels ursprünglich wesentlich bekannter. Eine Unterscheidung der beiden wäre nur mittels genetischer Fingerabdrücke möglich. Doch dass sich zum DNS-Vergleich heute noch Verwandte der beiden Seeräuber finden, ist kaum vorstellbar. Stehen vielleicht sogar die Reste beider Piraten-Chefs nebeneinander im Museum? "Die Schädel haben ihre letzten Geheimnisse noch nicht preisgegeben", meint Archäologe Wiechmann, "aber die Diskussion ist neu belebt. Und das ist gut: Wissenschaft zum Anfassen."<br><br>
Zu Lebzeiten stand der Schädel seinem Besitzer hingegen gut zu Haupte: Ein Vorderzahn war ausgeschlagen, und auf der Stirn fanden sich die knöchernen Reste verheilter Hiebe. Schlechte Zähne hatte der bei seinem Tod erst 25 bis 35 Jahre alte Mann auch. Das lag aber nicht am bei Seefahrern verbreiteten Vitamin-Mangel, sondern, wie der Göttinger Anatom Michael Schultz ermittelte, an mangelnder Mundhygiene des Schreckens der Meere. Vieles spricht dafür, dass "Grasbrook 1" das Haupt von Störtebeker ist. Wie die Kammerei-Rechnungen der Hanse zeigen, war aber Störtebekers einziger Konkurrent Gödeke Michels ursprünglich wesentlich bekannter. Eine Unterscheidung der beiden wäre nur mittels genetischer Fingerabdrücke möglich. Doch dass sich zum DNS-Vergleich heute noch Verwandte der beiden Seeräuber finden, ist kaum vorstellbar. Stehen vielleicht sogar die Reste beider Piraten-Chefs nebeneinander im Museum? "Die Schädel haben ihre letzten Geheimnisse noch nicht preisgegeben", meint Archäologe Wiechmann, "aber die Diskussion ist neu belebt. Und das ist gut: Wissenschaft zum Anfassen."<br><br>
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''Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.''
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===<font color=orange>Lesetipps</font>===
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* [[2016 07 Hanauer Anzeiger: Der natuerliche Lauf des Lebens|Der natürliche Lauf des Lebens]]<br>
* [[2016 03: Radio Eins: Nestbau und Zigarettenstummel|Warum Vögel Zigarettenstummel in ihre Nester einbauen]]<br>
* [[1998 10 Die Zeit: Spinne im Spinat|Spinne im Spinat]]<br>
* [[1995 05 Die Zeit: Der vertonte Fadenwurm|Der vertonte Fadenwurm]]<br>
* [[1998 Die Zeit: Forschung im Namen der Ente|Forschung im Namen der Ente]]<br>
* [[1995 Die Zeit: Kartoffelchips im Windkanal|Kartoffelchips im Windkanal]]<br>
* [[1995 03 Die Zeit: Vom Schneck zum Schreck|Vom Schneck zum Schreck]]<br>
* [[1998 Die Zeit: Hoelle nach Herzenslust|Hölle nach Herzenslust]]<br>
* [[1998 Die Zeit: Kampf der Wissenschaftshumorjournale|Kampf der Wissenschaftshumorjournale]]<br>
* [[2016 09 11: radio eins zwei auf eins huetchenspieler kakadu|Beherrschen Kakadus das Hütchenspiel?]]<br>
* [[All_Mark_Benecke_Publications#Science_Humor.2C_Leeches.2C_Hissing_Roaches.2C_Fish.2C_Magnetic_Mountains.2C_Skeptic_Stuff|Mehr Wissenschafts-Humor]]<br>
* [http://www.radioeins.de/archiv/podcast/die_profis_benecke.html <font color=lightgrey>Die Podcasts von MB bei radioeins</font>]<br>
* [[2014 06: Online Interview zum Thema Paranormales|Online Interview zum Thema Paranormales]]<br>
* [http://benecke.com/pdf/Hausarbeit_Polizei_Spontane_Menschliche_Selbstentzuendung_Laura_Hofmann.pdf <font color=lightgrey>Spontane menschliche Selbstentzündung</font>]<br>
* [[2010-03 Skeptiker: Vampire ohne Bis(s)|Vampire ohne Bis(s)]]<br>
* [[2010-02 Skeptiker: Dreiundzwanzig|Dreiundzwanzig]]<br>
* [[2006 MAGIE PUR!: Über Geistererscheinungen|Calmet. Vorwort "Über Geistererscheinungen"]]<br>
* [[2005 Laborjournal: Spiderman: Sex hat sehr wohl stattgefunden|Spiderman & MJ: Sex hat stattgefunden]]<br>
* [[2004 Skeptiker Magazin: Das Blutwunder von Neapel|Das Blutwunder von Neapel]]<br>
* [[2002 Skeptical Inquirer: Magnetic Mountains|Magnetic Mountains]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH / GERMAN TEXT</font><br>
* [[2001 12 FAZ: High - Tech - Ritter Troy Hurtubise|Ein High-Tech-Ritter im Kampf gegen Schläger, Jeeps und Bären]]<br>
* [[2001 09 Sueddeutsche Zeitung: Pharaonenfluch|Endlich Ruhe im Sarkophag - Das Ende des Pharaonenfluchs]]<br>
* [http://www.gwup.org/component/content/article/107-sonstige-themen/761-spontane-menschliche-selbstentzuendung <font color=lightgrey>Spontane menschliche Selbstentzündung</font>]<br>
* [http://archiv.sueddeutsche.de/sueddz/index.php?id=A12522828_EGTPOGWPPOPAWAGOWSWWHWH <font color=lightgrey>Bigfoot auf Asiatisch</font>]<br>
* [[2001 Die Zeit: Geliebte mit Hunderttausend Volt|Geliebte mit hunderttausend Volt]]<br>
* [[2000-01 Skeptiker: Patente Unternehmer|Patente Unternehmer. US-Patentbehörde erteilt Ideenschutz, ohne die Erfindungen zu prüfen]]<br>
* [[2000-05 AiR: Bomby The Bombardier Beetle Review|Bomby: Thoughts of a Forensic Entomologist]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH TEXT</font><br>
* [[2001-11-28 SeroNews: Angewandte SHC: Plötzliche Selbst-Entzündung von Menschen|Angewandte SHC]]<br>
* [[1999 01 Die Zeit: Manche Tote leben laenger|Manche Tote leben länger. Lenins Leiche erzählt die Geschichte russischer Präparierkunst]]<br>
* [[1998 Skeptical Inquirer: Spontaneous Human Combustion|Spontaneuos Human Combustion (SHC) - thoughts of a forensic biologist]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH TEXT</font><br>
* [[1998 06 TAZ: Chindogus|Nie wieder nasse Bücher]]<br>
* [[2000 Berliner Morgenpost: The Real Forensic: Kein Doc für die Schwarzwaldklinik|The Real Forensic: Kein Doc für die Schwarzwaldklinik]]<br>
* [[1998-12 AIR: Solution for the Chicken/Egg Problem by use of Toothpaste Arithmetic|Toothpaste Arithmetic and the Chicken/Egg problem]] <font size="-2" color="#FF0000" face="helvetica">ENGLISH TEXT</font><br>
* [[1999_01_Die_Zeit:_Manche_Tote_leben_laenger|Die Konservierung Lenins]]<br>
* [[2017 12 Xaver Die Leiche aus der Biotonne|Die Leiche aus der Biotonne (Interview)]]<br>
* [[2017-11 Rheinische Post: Koe-Papageien gab es zuerst in Koeln|Kö-Papageien gab es zuerst in Köln]]<br>
* [[2013_Osteuropakanal_Albert-Ludwigs-Universität_Freiburg:_Lenins_Leichenzustand| Lenins Leichenzustand]]<br>
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Revision as of 14:16, 27 January 2018

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Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 10. März 2004, Seite 10

Das Geheimnis der Piraten

Neue Erkenntnisse über den 600 Jahre alten vermeintlichen Schädel von Klaus Störtebeker

[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]

VON MARK BENECKE


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Große Verbrecher bestehen nicht nur in Erzählungen fort. Oft wurden auch ihre Schädel oder Gesichter ausgestellt. Das berühmteste Ausstellungs-Stück war im Süden Deutschlands das Haupt von Mathias Kneißl. Als dieser angebliche Rächer der Armen 1901 gefasst wurde, rankte um ihn schon die Geschichte des charismatischen Partisanen. Bis zu einem Bomben-Treffer 1944 stand Kneißls Schädel in der öffentlichen Sammlung der Münchener Anatomie.


Das norddeutsche Gegenstück zum Räuber Kneißl ist der Pirat Klaus Störtebeker. Obwohl über ihn nur wenige Worte erhalten sind, erschufen die Hanseaten im 18. und 19. Jahrhundert eine romantische Räubergeschichte, in der sich mündliche Überlieferungen des Hafen-Milieus mit der passenden Dramaturgie vermengten. So soll der in der bürgerlichen Fantasie "hochragende, gewaltige und schreckliche" Mann, nachdem ihm im Jahr 1401 auf dem Grasbrook vom Henker der Kopf abgeschlagen wurde, angeblich noch an den aufgereihten Kameraden vorbeigeschwankt sein. "Man träumte den goldenen Jahren nach" , vermutet Ralf Wiechmann vom Museum für Hamburgische Geschichte. "Störtebeker wurde übertrieben stark dargestellt, um die schwindende Macht der Hanse-Behörden, die ihn geschnappt hatten, größer erscheinen zu lassen."


Bis heute sind im Hamburger Museum zwei Schädel von "Piraten, hingerichtet auf dem Grasbrook" ausgestellt. Trotz der musealen Zurückhaltung ist im Norden jeder überzeugt, dass einer der beiden das Haupt des fürchterlichen Klaus Störtebeker ist. Da Beweise fehlten, beschlossen Archäologe Wiechmann, der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel und der Anthropologe Günter Bräuer, genauer nachzuforschen. Ihr mit Röntgenkundlern, Anatomen und Historikern verstärktes Team stellte in der vergangenen Woche die Ergebnisse vor. Den Todes-Zeitpunkt konnte das C14-Labor der Universität Oxford anhand des im Schädel enthaltenen Kohlenstoff-Isotops auf die Zeit zwischen 1380 und 1450 eingrenzen. "Am Fundort, dem Grasbrook, gab es in dieser Zeitspanne aber nur drei Hinrichtungen mit insgesamt 90 Toten. Darunter waren mit Sicherheit auch Störtebeker und seine Männer", berichtet Wiechmann. "Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Schädel von Störtebeker stammt, lag damit bei 1:89."


Auffallend war auch, dass durch beide Schädel jeweils ein sehr langer Nagel von oben nach unten führte. Damit hatten die Henker einst die Köpfe nach der Hinrichtung auf einen Pflock am Hafen geschlagen, um Übeltäter abzuschrecken. Ungewöhnlich war, dass man bei Schädel "Grasbrook 1" mit einer sehr scharfen Klinge, womöglich einem Enter-Messer, sorgfältig eine Öffnung in die Kalotte gehämmert hatte. Der Aufstellnagel ließ sich nun einfach durch diese vorgeformte Öffnung schieben, ohne dass der Knochen beim Nageln zersplittern konnte. Offenbar sollte der abgetrennte Kopf nicht in Stücken am Pfahl verfaulen, sondern den lebenden Verbrechern möglichst lange und in Ganzheit mahnend entgegen starren. Da man sich solche Mühe mit normalen Piraten nicht machte, muss es sich um den Hauptmann der Halunken gehandelt haben. In Frage kommen hier nur zwei Kandidaten: Entweder Klaus Störtebeker oder der ein Jahr später hingerichtete Gödeke Michels. Beide waren als Piraten-Anführer so erfolgreich, dass sie die Hanse nicht nur finanziell, sondern auch in ihrem Ruf schädigten.


Auch Peter Pieper, forensischer Archäologe am Institut für Rechtsmedizin in Düsseldorf hebt die Sonderbehandlung von Schädel 1 hervor. Die Köpfe aller Banden-Mitglieder- allein aus Störtebekers Mannschaft waren es 73 Vitalienbrüder - auf einzelne Pfähle zu nageln, "hätte nicht nur einen erheblichen Materialaufwand an Holz und Eisen bedeutet, sondern auch eine sehr hohe Entlohnung des Henkers und seiner Knechte." Als die Schädel der Piraten im Jahr 1878 bei Erdarbeiten wieder auftauchten, waren sie rötlich-braun verfärbt. Obwohl eine Atommassen-Absorptions-Messung viel Eisen in den Knochen nachwies, ist das nicht der Grund für ihre dunkle Farbe. Vielmehr haben Humin-Säuren das diffuse Braun erzeugt. Die Boden-Säuren durchzogen die toten Piraten-Köpfe im Laufe der Jahrhunderte ebenso wie die im Dünnschliff erkennbaren Sprossungen von Pilz-Geflechten.


Zu Lebzeiten stand der Schädel seinem Besitzer hingegen gut zu Haupte: Ein Vorderzahn war ausgeschlagen, und auf der Stirn fanden sich die knöchernen Reste verheilter Hiebe. Schlechte Zähne hatte der bei seinem Tod erst 25 bis 35 Jahre alte Mann auch. Das lag aber nicht am bei Seefahrern verbreiteten Vitamin-Mangel, sondern, wie der Göttinger Anatom Michael Schultz ermittelte, an mangelnder Mundhygiene des Schreckens der Meere. Vieles spricht dafür, dass "Grasbrook 1" das Haupt von Störtebeker ist. Wie die Kammerei-Rechnungen der Hanse zeigen, war aber Störtebekers einziger Konkurrent Gödeke Michels ursprünglich wesentlich bekannter. Eine Unterscheidung der beiden wäre nur mittels genetischer Fingerabdrücke möglich. Doch dass sich zum DNS-Vergleich heute noch Verwandte der beiden Seeräuber finden, ist kaum vorstellbar. Stehen vielleicht sogar die Reste beider Piraten-Chefs nebeneinander im Museum? "Die Schädel haben ihre letzten Geheimnisse noch nicht preisgegeben", meint Archäologe Wiechmann, "aber die Diskussion ist neu belebt. Und das ist gut: Wissenschaft zum Anfassen."


Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.


Lesetipps


Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.