2003 Seronews: Beneckes Bücherschrank (14)
Quelle: SeroNews 8(4):120-121 (2003)
Spionage: Mehr schlecht als echt
Beneckes Bücherschrank (14)
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Von Mark Benecke
Helmut Wagner (2001) Schöne Grüße aus Pullach. Edition Ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin; TB, 12,90 €, o. Abb., mit Personen-Register.
Markus Wolf (1997) Spionagechef im geheimen Krieg. List, München; TB bei Amazon schon ab 3 € (!), 512 S., einige Abb., mit Personen-Register.
Reinhard Knoll, Martin Haidinger (2001) Spione, Spitzel und Agenten: Analyse einer Scheinwelt. NP Buchverlag, St. Pölten; 24,90 €, 471 S., o. Abb., o. Register.
Click to enlarge Sehr lange habe ich mir den Kopf gekratzt: Wieso darf es in Washington ein Spionage-Museum geben, noch dazu ein verdächtig Gutes? Und wieso hat kein Mensch dem ollen Möllemann geglaubt, dass sein Rivale Westerwelle vom Mossad angespitzt sei?
Da ich in meiner kriminalistischen Bibliothek kaum Gescheites zu den „Diensten“ (Soziolekt für: Geheimdienste) fand, habe ich für die SeroNews den Markt durchforstet. Stellvertretend möchte ich drei Bücher vorstellen. Die Qualität der Titel schwankt allerdings unglaublich stark. Das Thema wird offenbar so selten angegangen, dass jeder, der etwas über Spionage zu wissen meint, auch bei irgendeinem Verlag zwei Hardcover-Deckel dafür erhält. Das ist schade, denn es gibt auch wirklich gute Bücher zum Thema. Die sind allerdings sehr schwer zu verdauen -- zumindest solange man noch in der Matrix lebt.
Das bemerkenswerteste Beispiel für ein total vergeigtes Buch ist das österreichische „Spione, Spitzel und Agenten“. Die Autoren spannen einen eigentlich schicken Bogen über Geheimdienstliches aus Griechenland und Rom bis zum Zusammenfall des World Trade Centers (letzeres wird zumindest im Vorwort erwähnt).
Der Text ist aber nicht so strukturiert, dass ein Neuling den Ausführungen folgen könnte. Anstatt zu analysieren (was der Untertitel behauptet), parlieren die beiden quer durch die Zeitgeschichte, mit besonderem Augenmerk auf Österreich. Dass die Autoren besser entweder eine Satire oder ein strenger gegliedertes Sach-Buch geschrieben hätten anstatt mit Allgemeinplätzen, Anführungsstrichen, Akteuren und Anomien um sich zu werfen, zeigt sich schnell. Zwei Beispiele:
„Es liegt auf der Hand, dass nicht erst die neuzeitlichen, sondern schon die meisten Geschichtsschreiber der Antike Kriege in den Mittelpunkt ihrer Berichte stellten, da diese den Lauf der Geschichte ja verändern.“
Eine erstaunliche Einsicht.
Die angebliche Philosophie der Spionage (so die Kapitel-Überschrift) gestaltet sich umso komplizierter:
„Die soziale Kontingenz wird auf Notwendigkeiten eingeengt, wie die soziale Anomie in Konzentrationslagern nachweist. Um nun dieser entwürdigenden Situation zu entkommen, spielen sich absurde hierarchische Strukturen ein, die ihre Zukunft im Kompromiss mit der macht gestalten. Es sind die „privilegierten“ Akteure innerhalb der „Risikogruppe“ selbst, die schließlich die Distanz zwischen Verfolgern und Opfern verringern – das perfekte Grauen.“
Click to enlargeDass dem nichts hinzuzufügen ist, fand wohl auch der Verlag und sparte Abbildungen sowie ein dringend nötiges Register kurzerhand ein.
In eine viel bessere Richtung geht Helmut Wagner (das ist sein Klarname; ursprünglich war das Buch als vom Autor „Günther Dietrich“ stammend angekündigt). Verwunderlich wirkt zwar seine an den Beginn gestellte Widmung an die „Linie II der Spionageabwehr des MfS der DDR“. Dem entsprechend gestaltet sich aber der öfters hämische Bericht des ehemaligen DDR-Geheimdienstlers.
Eine der Thesen: Der BND (der ja tatsächlich auch in Westdeutschland gerne ausgelacht wird) habe nie eine Schnitte gegen die smarten Jungs vom MfD gehabt. Stimmt schon – lustig ist es, dem BND zusammen mit DDR-Spion Wagner über die Schulter zu lugen:
„Durch einen BND-Kurier waren zehn Briefe in einen (!) Ostberliner Briefkasten eingeworfen worden. Das erregte natürlich den Verdacht der Abt. M. Wie sich herausstellte, waren die Schreiben an Mitarbeiter des MfS, Offiziere der NVA sowie Staatsfunktionäre gerichtet. Man bot den Angeschriebenen zwischen 150.00 und 1.000.000 DM, wenn sie sich zu einer Zusammenarbeit mit dem BND entschließen würden. Der Text war mehr als simpel gestrickt und ging ungefähr so:
„Wie geben Ihnen die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen! Sollten Sie sich mit dem Gedanken tragen, die DDR verlassen zu wollen, so erhalten Sie durch uns die Möglichkeit, in einem Land der westlichen Welt ihrer Wahl eine neue Heimat zu finden. (…) Als Gegenleistung erwarten wir die Übergabe von Informationen, Dokumenten oder anderer wichtiger Unterlagen. (…) Mit den besten Wünschen für eine gedeihliche Zusammenarbeit – Ihr Bundesnachrichtendienst“
Wir rätselten: War das eine Provokation oder ernst gemeint? (…) Insgesamt hatte der BND für diese Operation 6 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Wir spöttelten: Offensichtlich hat der BND kurz vor Jahresende seine Haushaltsmittel noch nicht ausgeschöpft und musste sie noch schnell ausgeben.“
Click to enlargeWagner und seine Kollegen hätten allerdings nicht immer so laut lachen sollen. Im Buch Faszination Freiheit von Bodo Müller (Ch. Links Verlag, Berlin, 2001) ist die Flucht-Geschichte von Heinz Holzapfel nachzulesen, der sich samt Sohn und Ehefrau vom Haus der Ministerien (in Ost-Berlin) aus hundert Metern Stahl-Gedrill eine Seilbahn über die Mauer (nach West-Berlin) baute. Der Start-Platz lag gleich neben dem Zimmer der örtlichen Stasi-Beamten.
Doch Wagners Welt ist eh wundersam: Wenn der Autor das MfS mit dem folgenden Argument verteidigt, muss er schon mehr als blauäugig auf die Welt blicken:
„Die Einmischung westlicher Geheimdienste in die inneren Belange der DDR war evident. Sie war nicht geringer und wohl auch kaum demokratischer als die Infiltration der Bundesrepublik durch östliche Geheimdienste. “
Undemokratische Geheimdienste? Foul Play? Der Leser staunt.
Schauderhaft sind hingegen Wagners Zahlen der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS. Man versucht besser gar nicht erst, sie sich vorzustellen. ADer westdeutsche Geheimdienst für innere Angelegenheiten hatte eine Liste mit insgesamt 100.000 (richtig gelesen!) Namen von Stasi-Agenten an die Bürger-Bewegung der DDR durchgereicht. Viele davon wurde in der Zeitschrift die andere veröffentlicht -- sehr zum Ärger von Autor Wagner:
„Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die Namen von etwa 85.000 ehemaligen Mitarbeiter [des MfS] und deren Adressen. Diese Liste war über die Personendatenbank des Innenministeriums der DDR in Berlin-Biesdorf ergänzt worden. (…) Fortan hatte jeder Gelegenheit, seinen persönlichen Unmut an eine bestimmte Adresse zu richten. Es gab Drohbriefe, eingeworfene Fensterscheiben, beschmierte Briefkästen und Haustüren, eingeworfenen Fensterscheiben und Kündigungen.
Im April/Mai 1991 verloren alleine in Berlin fast 500 Ehemalige [des MfS] ihre Arbeit.“
Ob das noch blauäugig oder doch schon zynisch ist?
Das Finale muss Markus Wolf gehören, dem Chef der Stasi. Stilistisch ist das Buch tipptopp, bloß erinnert es angesichts vieler sehr weißer Flecken an die Lebens-Erinnerungen von O.J. Simpson („Ich könnte niemals töten“)[1], Ferdinand Sauerbruch[2] (an dem das Dritte Reich offenbar vorbei wehte) oder Don Antonio Calderone[3] (der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte -- oder es zumindest nicht erzählen mag).
Wolfs Buch zeigt aber ohne Schmonzes und Blabla, wie ein recht normaler Mensch den Weg zum Leiter eines Geheimdienstes nehmen kann, ja geradezu in den Job schlittert. Das ist sehr spannend, denn Wolf hält sich – frei von Hass und Giftspritzerei – für einen politisch linken Idealisten:
„Die Macht des Geldes übt nicht weniger Gewalt aus als die Macht des Staates. Sie wirkt weniger vordergründig, ist aber nicht weniger brutal.
Wenn Machtmissbrauch wie im „realen Sozialismus“ mit der Manipulation eines Ideals beginnt, so wird im Kapitalismus das Ideal von der individuellen Freiheit im Interesse der Macht des Geldes und zum Schaden für die Mehrheit der Gesellschaft missbraucht. (…)
Der kalte Krieg ist zu Ende, ein Modell des Sozialismus, dessen Beginn mit großen Hoffnungen verbunden war, ist gescheitert, doch meine Ideale habe ich nicht verloren.“
Abgesehen davon gibt’s Ausführungen, die weder Fakten-Kenner Wagner noch die ausschweifenden Autoren Knoll und Haidinger bringen, beispielsweise zur Spionage aus Liebe. Dass er systematisch Romeo-Spione ausbilden ließ, verweist Wolf zwar zu den Märchen wie die des MI 5, in der die jeweils neuesten Hilfsmittel für den Agenten 007 erfunden und getestet werden, den Bereich der Phantasie. Ein paar schöne Beispiele für – natürlich ganz zufällige – Liebes-Agenten bringt er aber doch. Obwohl sehr sachlich erzählt, haben mich die Geschichten der Romeos wie auch der Julias sehr berührt.
Kurzum: Was Mossad und Möllemann miteinander hatten, kann ich mir jetzt besser vorstellen, und auch warum es ein Spionage-Museum gibt. Wer damit klarkommt, dass wir nicht im Glücksbärchen-Land leben, sondern mitten in mahlenden Macht-Mühlen, dem kann ich hin und wieder einen Ausflug in die Welt der Spione empfehlen. Doch Vorsicht: Glauben Sie nur den Autoren, die wirklich wissen wovon sie reden -- beziehungsweise besser schweigen.
Mark Benecke (http://www.benecke.com/) arbeitet international als Kriminalbiologe.
[1] Orenthal Simpson (1995) I Want to Tell You, Little Brown & Co.
[2] Ferdinand Sauerbruch (1951) Das war mein Leben, Kindler, Bad Wörishofen
[3] Pino Arlacci (1993) Mafia von Innen. S. Fischer, Frankfurt am Main