2003 SeroNews: Hitlers Schädel und Zähne
Quelle: SeroNews, 8(3):102-104 (2003)
Hitlers Schaedel und Zähne (SeroNews, 2003)
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VON MARK BENECKE
Es ist schon verrückt, was sich das Leben so ausdenkt. Als mich National Geographic TV, für die ich in Rumänien eine Dokumentation über Vampire wissenschaftlich begleitet hatte [1], anrief und nach Hitlers Schädel fragte, dachte ich mir nichts dabei. Großer Fehler. Drei Monate später saß ich in Moskau und konnte nicht fassen, was ich da sah [2].
Um es kurz zu machen: Ein Stück Schädel, dass zumindest aus kriminalistischer Sicht gut aus Hitlers Kopf stammen könnte, liegt in einer alten Disketten-Box auf einigen Lagen Abschmink-Papier-Tüchern (Abb. 1). Das ganze ist mit dem silbernen Plastik-Schlösschen gesichert, was den Sinn der absonderlichen Verpackung (abschließbar!) eventuell erklärt.
Die im Knöchernen prangende Ausschuss-Öffnung könnte nach Aussage von Prof. Püschel [3] mit einem Suizid zusammen passen. Ob das Lebens-Alter der Person, von der der Schädel stammt, mit Hitlers Sterbe-Alter übereinstimmt, ist eine andere, ungeklärte Frage. Sogar ein Gipfel-Treffen mit Michael Baden (New York) und der Anthropologin Marilyn London (Abb. 7) half hier nicht so richtig weiter.
Der Hauch der Geschichte weht nicht nur angesichts der bizarren Verpackung und des zentimeterdicken Staubes im Staats-Archiv (es wird gerade renoviert) kein bisschen. Auch der Archivarin selbst fehlt die nötige Nähe zum Sujet. Mit echter Ratlosigkeit fragte sie mich, warum denn wohl kein deutsches Museum das Ausstellungsstück zeigen wolle? So genau weiß ich das zwar auch nicht, deutete aber an, dass das Objekt vielleicht besonders in Deutschland leicht und von den falschen Menschen gestohlen werden könnte.
Da eine DNA-Untersuchung im Moment nicht möglich ist, fragt sich vor allem, ob das Auftauchen des Schädel-Stückes stimmig ist. Als Hitlers Leiche -- die in Magdeburg geheim[1] begraben war -- 1970 (ebenso geheim) von sowjetischen Diensten verbrannt wurde, wäre eine Gelegenheit gewesen, die Trophäe nach Moskau zu bringen. Die zweite Gelegenheit waren die Sektionen, die 1945 stattfanden.
Die Archivarin selbst berichtet, dass ein Kistchen, das der KGB eines Tages ins Staats-Archiv gebracht habe, erstmal in den Tiefen der Regale bzw. eines Tresors verschwunden sei (Abb. 2). „Beim Aufräumen“ (O-Ton) sei die Schachtel dann wieder aufgetaucht. Darin habe sich zur allgemeinen Verblüffung ein Schädel-Fragment und ein Zettel befunden. Auf letzterem stand, um was es sich handele: Ein Stückchen Hitler.
Diese Geschichte ist seltsam, denn eigentlich sollte staatlicherseits nicht durchsickern, dass Hitler tot war. Das ist uns heute schwer begreiflich; Stalin selbst hat aber halbwahr auf einer Konferenz der Alliierten gesagt: „Er ist nicht in unseren Händen“ [4]. Das stimmte sogar, denn den lebenden Führer hatte die SU nicht, und die teils verkohlten Reste waren auf dem Weg ins Erd-Grab auf deutschem Boden.
Der ehemalige Übersetzer des militärischen Geheimdienstes, der den Fund Hitlers telefonisch an Stalins Sekretär durchgab, erklärt sich (und mir) die gezielte Desinformation mittlerweile damit, dass „eben kalter Krieg war und Stalin den weltlichen Alliierten den Schwarzen Peter zuschieben wollte“. Könnte gut sein, denn es ist aktenkundig, dass Stalin selbst die Gerüchte streute, Hitler habe sich „vielleicht“ per U-Boot wahlweise nach Argentinien, Skandinavien oder Japan abgesetzt.
Doch zurück zum KGB – warum sollte dort irgendwer ein Schädel-Stück Hitlers ins Staats-Archiv transportieren, einen Zettel dazu legen und zu allem Überfluss außen „Operation Mythos“ auf die Schachtel schreiben? Wollte hier jemand gezielt eine Information durchsickern lassen, die offiziell noch nicht freigegeben war? Wir wissen es nicht, aber mir scheint das eine mögliche Erklärung zu sein.
Die eigentliche Identifizierung der Leiche erfolgte ohnehin über die katastofal schlechten Zähne Hitlers, und zwar erstmals in den 1970ern. Das war nicht besonders schwer, da erstens der Zahn-Status des Führers bekannt war (Befragung seines Zahnarztes und dessen Mitarbeiterin 1945) und zudem ein nach dem Attentat im Jahr 1944 angefertigtes Röntgen-Bild aus den Tiefen britischer Archive auftauchte.
Heute hat Kollege Michel Perrier von der Uniklinik Lausanne, dessen Herz für die forensische Odontologie schlägt, auch noch eine hervorragende, ergänzende Methode ersonnen. Er hat sich Bilder aus Film-Rollen von Propaganda-Filmen kopiert, auf denen Hitler beim Reden grimassiert und Zähne zeigt. Hier ist sowohl die massive Parodontose an frontalen Zähnen als auch die metallische Reflexion etwas seitlich gelegener Dental-Arbeiten gut zu sehen [5].
Grund genug, auch dem KGB (heute: FSB) einen Besuch abzustatten, wo die Zähne in einer Zigarren-Schachtel lagern. Abgesehen von der James-Bond-artigen Bemöbelung (Abb. 3) und den versiegelten Telefonen (Abb. 4) fiel mir beim KGB besonders die geschmackvolle Dekoration mit Pralinen-Schachtel-Deckeln auf (Abb. 5). Wer die mittlerweile vom vielen Herumreichen fragmentierten Kiefer-Teile der Familie Hitler näher anschaut, kommt des weiteren nicht am gruseligen Gedanken vorbei, wie wohl Vegetarier-Küsse schmecken, die über ein schwer zersetztes, wenngleich mit reichlich Metall verstärktes Gebiss übermittelt werden (Abb. 6).
Der langen Rede kurzer Sinn: Hitler ist tot, seine Zähne waren schlecht und in seinem Schädel ist ein Loch. Die übrigen, nicht minder irren Details sind ab Sommer 2003 per Schüssel auf National Geographic TV als Ein-Stunden-Reportage zu sehen. Wahlweise erzähle ich das Ganze in meinem Herren-Zimmer gegen Zusteuern eines leckeren italienischen Rotweines.
Mark Benecke (http://www.benecke.com/) arbeitet international als Kriminalbiologe. Die spannende Dokumentation, gedreht bei minus 24 Grad Celsius in Moskau, läuft mehrmals.
Lesetipps
- The hunt for Hitler's teeth ENGLISH TEXT
- Hitler´s Skull & Teeth ENGLISH TEXT
- Hitlers Teeth ENGLISH TEXT