2002 03 FAZ: Das raetselhafte Gesetz von Kraft und Masse

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Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (darin: Wissenschaft), Nr. 13 vom 31. März 2002, Seite 63

Das rätselhafte Gesetz von Kraft und Masse

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Von: Mark Benecke

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In der kommenden Woche erscheint eine Studie, die allen Ernstes behauptet, daß sämtliche Antriebe in Natur und Technik an ein und dieselbe Leistungsgrenze stoßen.


Manchmal führen die einfachsten Ideen zu den erstaunlichsten Ergebnissen - wenn man sie nur radikal genug umsetzt. Das zeigt eine Studie der Biologen James Marden und Lee Allen von der Pennsylvania State University, die am kommenden Dienstag in den ehrwürdigen Proceedings der amerikanischen National Academy of Sciences erscheinen wird (PNAS, 2.4.2002).


Die Studie vergleicht so ziemlich alle Motorentypen dieser Welt, um herauszufinden, ob es einen allgemeinen Zusammenhang zwischen deren Masse und ihrer maximalen Leistungsfähigkeit gibt. Die Autoren scherten sich also nicht darum, wie der jeweilige Motor funktioniert, sondern sammelten und verglichen die Gewichts- und Leistungsdaten von Flugzeugturbinen und Motorwinden, Geißeltierchen und Spermien, von Vögeln, Leguanen, Känguruhs, menschlichen Sprintern und vielen anderen.


Eine einfache Idee, in der Tat. Und warum hatte sie vorher noch niemand umgesetzt? Weil sie vollkommen abwegig klingt.


Angesichts der Vielfalt von Antriebsmechanismen in Natur und Technik ist die Hypothese durchaus kühn, daß sie alle demselben Gesetz gehorchen, demzufolge die bloße Masse der Maschinen ihre Kraft in stets gleicher Art beschränkt.


Bei "Jugend forscht" wäre so ein Unterfangen wohl schon in der Vorrunde durchgefallen. Als erste hätten die Jury-Mitglieder aus dem Fachbereich Biologie hämisch gegrinst. Weiß nicht jeder, daß die Lösungen des Lebens stets eleganter und effizienter sind als die aus den rauchenden und stinkenden Hallen der Industrie?


Doch die Autoren philosophierten nicht im Abstrakten, sondern verglichen im Konkreten. Darin hat James Marden Übung; seit Jahren erforscht er die Physiologie von Insekten, und zwar hauptsächlich um herauszufinden, wie ihr Bewegungsapparat funktioniert. Namentlich das Flugvermögen hat es ihm angetan, das er auch schon mit Robotermodellen simulierte. Der Mann ist nicht etwa ein Außenseiter der Wissenschaft, und schon gar nicht der indische Physiker V. Radakrishnan, der das Manuskript vor Veröffentlichung geprüft hatte - hier sind Leute am Werk, die einen Ruf zu verlieren haben.


Einfach umzusetzen war die Idee nicht. So erwies es sich als ein Problem, die jeweilige Masse der Antriebe korrekt zu bestimmen. Für fliegende Tiere legten Marden und Allen die Masse der Flügel und der zugehörigen Muskulatur zugrunde. Bei laufenden Tieren ist sie schwieriger zu berechnen; eine grobe Schätzung kommt auf zehn Prozent der Körpermasse pro Bein - außer bei Kakerlaken, denn für sie existieren Berechnungen, die sich auf zwei Prozent Körpermasse pro Bein belaufen. Ein wenig einfacher waren die Massen technischer Motoren zu ermitteln. Nachdem diese Arbeit getan war, teilten sie jeweils die Motorenkraft durch das Gewicht und verglichen die Resultate - vom Biomolekül zum Raketentriebwerk.


Die Motor-Moleküle der Biologie waren ein einfacher Fall, da kannten die beiden sich aus. Wenn sich beispielsweise Muskeln zusammenziehen, geschieht das streng genommen durch kleinste Hebelchen, die großen Brüdern aus der Welt der industriellen Mechanik durchaus ähneln. Der Weichmacher-Stoff ATP, der aus den Kraftwerken der Zelle (den Mitochondrien) massenhaft angespült wird, erlaubt es sogenannten Myosin-Köpfchen im Muskel, sich abzuknicken. Jeder Knick zieht die benachbarten Fasern um zehn Nanometer weiter.


Um die Hand von der Sonntagszeitung zum Nutella-Glas zu befördern, müssen sich Millionen solcher molekularen Köpfchen abknicken. Später sollen sie sich auch wieder entspannen. Gelingt das nicht, handelt es sich um einen Krampf oder um auch die mit Gewalt nicht zu brechende Totenstarre. Letztere ist deswegen so hartnäckig, weil toten Muskeln der Nachschub mit dem Energie-Lieferanten ATP fehlt. Ohne Energie siegen sie aber ebenso eisern fest wie ein Förderrad ohne Sprit.


Ein wenig Rechnerei ergab: Der molekulare Flutsch- und Knick-Vorgang erzeugt stets höchstens sechzig Newton Kraft pro Kilogramm Gewebe. Dabei ist es egal, ob ein Vogelflügel flattert, ein Froschschenkel hüpft oder ein Kakerlaken-Bein durchs Müsli wühlt.


Den Biologen wundert diese Gleichheit der Befunde für Wirbeltiere und Insekten, sind sie doch höchst unterschiedlich konstruiert. Während der Froschmuskel an knöchernen Kalk-Stangen befestigt ist, müssen die Sechsbeiner zusehen, wie sie ihre Kraftübertragung mit Hilfe eines hauchdünnen Außenskeletts aus Chitin zuwege bringen, dem es an einer Innenstabilisierung mangelt. Doch trotz dieser architektonischen Unterschiede: Das Verhältnis von Antriebsmasse und Kraft ist überall das gleiche, ob beim Menschen oder bei der Mücke.


Der erste Reflex der Wissenschaft auf so ein Ergebnis heißt "gleiche Wirkung, gleiche Ursache". immerhin müssen sowohl Wirbellose als auch Wirbeltiere ihre Muskelenergie in die Umwelt bringen, um sich fortzubewegen. Liegt es vielleicht an der Ähnlichkeit der kraftaufnehmenden Umgebung, daß der relative Output der Tiermotoren annähernd gleich groß ist? Klingt sehr gewagt. Zu sehr.


Aber es gibt andere Übereinstimmungen. So entsteht in allen Muskeln Wärme. Diese Wärme muss entweichen, damit sich der Apparat nicht über die Maßen erhitzt und deshalb schmilzt oder verklumpt. Hitze kann aber nur entweichen, wenn sie nicht, beispielsweise, von Gewebebergen umhüllt ist, die sie im Inneren festhalten. Es gibt also für jeden Maschinentyp ein Maximum. Maschinen können nicht beliebig groß, oder besser gesagt, dick werden. Sie halten irgendwann zu viel Wärme zurück und zerstören sich selbst. Das gilt für Antriebe aus Natur und Technik gleichermaßen.


Die mangelnde Hitze-Abfuhr in solch unförmigen Systemen bewirkt auch eine frohe Nachricht für Menschen, die sich vor riesigen Gliedertierchen fürchten würden. Solche Monster kann es wegen der Eigenheiten der Insektenmotoren nicht geben. In der echten Welt würde Tarantula beim bewegten Angriff in Flammen aufgehen.


Nun könnte man annehmen: Die übereinstimmende Kraft/Gewicht-Beziehung bei Kerb- und Wirbeltieren ergibt sich einfach daraus, daß es sich stets um das gleiche Antriebsprinzip handelt, nämlich um Muskeln. Um diese Erklärung zu überprüfen, wäre es also nötig, die Kraft/Gewicht-Beziehung anderer Motoren zu untersuchen.


Genau das haben die beiden Biologen getan. Sie schauten über den Tellerrand ihrer Disziplin und auf andere Motor-Typen, und zwar zunächst in den Werkstätten von Ferrari und Honda. Sie inspizierten die Kraftmaschinen unter den blechernen Hauben - und siehe da: Es ergaben sich höchstens sechzig Newton pro Kilogramm Motor.


Spätestens jetzt muß es den Kollegen mulmig geworden sein. Denn das war ja derselbe Wert, den sie auch für Muskeln errechnet hatten. Woran mochte das liegen?


Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Kolben- und Muskelmotoren fiel ihnen auf, daß beide Typen ihr eigenes Gewicht stützen oder zumindest stabilisieren müssen. Das ist nicht selbstverständlich: Schwimmenden Tieren zum Beispiel wird ihr Eigengewicht vom umgebenden Wasser abgenommen. Ein Blick ins nasse Element sollte daher klären, ob die gemeinsame Leistungsgrenze von Ferrari und Fink durch Stützkonstruktive bedingt war, die bei Schwimmtieren entfallen. Doch auch hier wurden die Biologen verblüfft. Sowohl schnellschwimmende Fische wie die Regenbogenforelle Slamo gairdneri als auch der blitzartig startende Flußkrebs Orconectes virilis reihten sich sauber in die Sechzig-Newton-Reihe ein: Mehr schaffte niemand.


Uns so war es überall. Fledermäuse, Kampfflugzeuge, molekulare Ionenpumpen, Roboterbeine, Raubkatzen, sie alle unterlagen dem einen Höchstwert. Oder gab es da irgendeinen gedanklichen Fehler in diesen Überlegungen, eine Art gedanklicher Endlosschleife, die nur deshalb immer wieder beim gleichen Ergebnis ankommt, weil etwas nicht stimmt? Die Sechzig-Newton-Regel ist zu simpel, um plausibel zu sein.


Marden und Allen stocherten weiter. Ein Anruf beim Massachusetts Institute of Technology, der wissenschaftlichen Technikzentrale in Boston, erbrachte, daß dort Miniaturmaschinen im Millimetermaßstab gefertigt werden. Ein früherer Antragsteller des MIT hatte vorhergesagt, daß die winzigen Maschinchen ein bis zu zehnfach besseres Verhältnis zwischen Leitung und Gewicht erbringen würden als das, was auch dem herkömmlichen Motorenpark bekannt ist. Wie sich auf Nachfrage herausstellte, stimmte das aber nicht. Der Kraftübertrag der angeblichen Supermotörchen lag wieder nahe am magischen Wert - diesmal waren es fünfundfünzig Newton pro Kilogramm.


Nun gingen Marden und Allen aufs Ganze. Sie meldeten sich bei Pratt & Whitney, einer Firma, die im Auftrag des Pentagons Antriebsteile für neue Kampfjets herstellt. Obwohl der Mantel der Verschwiegenheit dort aus tiefschwarzem Vorhangstoff gewebt ist, ließ ein Luftwaffen-Leutnant durchblicken, daß jüngst etwas Seltsames vorgefallen sein.


Die Triebwerke des geplanten F119-Kriegsflugzeuges sollten - ohne Turbo-Brenner - eigentlich einen Schub von hundert Newton pro Kilo Motor erzeugen. Damit wäre die Kraftgrenze von sechzig Newton pro Kilo weit überschritten; man könnte sie dann auf nicht ausgereifte Konstruktionsweisen zurückführen. Doch als die Ingenieure ihre perfekt ausgetüftelte Düse starteten, gab sie auch schon den Geist auf.


Das Gebilde mußte daraufhin verbessert und umgebaut werden. Dabei erhöhe sich sein Gewicht. Selbst der geheimste und teuerste Antrieb mußte also erst einmal zunehmen, um die angestrebte Leistung zu bringen: Wirkte hier wieder das rätselhafte Gesetz der Sechzig?


In ihrer Studie, die von der National Science Foundation unterstützt wurde, stellen die beiden Biologen fest, daß es an einer einleuchtenden Erklärung für die merkwürdigen Ähnlichkeiten fehle. Eine solche Erklärung könne sich aber als nützlich erweisen, denn entweder würde sie Wege zeigen, das Limit zu überwinden - oder dem Menschen mitteilen, daß einfach nicht mehr drin ist.


"Es könnte noch Jahrzehnte dauern, bis wir verstehen, wie die Kraftgrenze mit den damit verbundenen Eigenheiten der Belastung von Motoren verknüpft ist", orakeln Marden und Allen gegen Ende ihrer Studie. "in der Zwischenzeit können wir uns nur wundern, daß die Millionen Jahre dauernde Evolution von Lebewesen an dieselben Grenzen stößt wie ein paar Jahrzehnte Arbeit an Maschinen."


Der Autor ist international als Kriminalbiologe tätig.


Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.


Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.