2002-02 Kriminalistik: Milzbrandbriefe auch in Deutschland?: Difference between revisions

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<h2><div align="justify"><font color=orange>Milzbrand-Briefe. <i>Bacillus anthracis</i> auch in Deutschland?</font></h2>
Quelle: Kriminalistik, Heft 56/2002, 56. Jahrgang, Seiten 112 bis 116<br>
<b>Quelle: Kriminalistik 56:112-6 (2002)<br></b><br>
<b>Von Mark Benecke, Martin Moser, Michael Trepkes und Norbert Spauschus
</B> <br><br>


Im folgenden Bericht wird beispielhaft von der Ermittlungskommission &quot;Briefe&quot; beim Polizeipr&auml;sidium K&ouml;ln berichtet sowie aus kriminalbiologischer Sicht erl&auml;utert, welchen Gefahren man im  Umgang mit dem Bakterium &quot;Anthrax&quot; ausgesetzt ist und wie man praxisorientiert damit umgehen kann.</P>
=<font color=orange>Milzbrandbriefe - Eine neue Waffe des Terrorismus?</font>=
==<font color=orange>Oder: Bacillus anthracis auch in Deutschland?</font>==


<B><P ALIGN="JUSTIFY">Die &quot;Milzbrand-Idioten&quot; und die EK Briefe</P>
[Weitere [[All Mark Benecke Publications|Artikel von MB]]] [Artikel [http://wiki2.benecke.com/index.php?title=Media#Interviews_.26_Articles <font color=lightgrey>über MB</font>]]<br>
</B><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Am Freitag, dem 12. Oktober 2001, wurde in K&ouml;ln ein Briefumschlag mit der Aufschrift &quot;Milzbrand&quot; an einem PKW in der Innenstadt aufgefunden. Eine Politesse der Stadt K&ouml;ln fand den Briefumschlag hinter dem Scheibenwischer eines parkenden PKW. Sie informierte die Polizei und die Berufsfeuerwehr K&ouml;ln. Durch die eingesetzten Kr&auml;fte wurde der gesamte Stra&szlig;enzug abgesperrt. Die Feuerwehr erschien mit insgesamt 15 Fahrzeugen unter dem Einsatzstichwort &quot;Biofund 1&quot;. </P>


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'''VON MARK BENECKE, MARTIN MOSER, MICHAEL TREPKES und NORBERT SPAUSCHUS'''<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Bevor sich dann jedoch ein voll ausgestatteter ABC-Einsatztrupp in Chemieschutzanz&uuml;gen an das Fahrzeug begeben konnte (Abb. 3), meldeten sich schon die zwei T&auml;ter. Sie konnten durch ihr Gest&auml;ndnis vor Ort den weiteren Einsatz der Feuerwehr verhindern. Sie wurden vorl&auml;ufig festgenommen. Sp&auml;ter wurden sie durch die Medien &uuml;berregional als die &quot;Milzbrand-Idioten&quot; bekannt. Besonders die Mittelrheinische Boulevardzeitung <I>Express</I> bem&uuml;hte sich um betont erzieherisch wirksame Einwirkung und berichtete bis zuletzt &uuml;ber die beiden T&auml;ter (Abb. 4).  </P>


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<P ALIGN="JUSTIFY">Nun stiegen die Milzbrand-Verdachtsf&auml;lle sprunghaft an. Das f&uuml;hrte zu der Einrichtung der EK Briefe. Beim PP K&ouml;ln wurde die sachliche Zust&auml;ndigkeit beim KK 13/14 (Brand, Sprengstoff) gesehen, weil man zum einen von der allgemeinen Zust&auml;ndigkeit im Hinblick auf die gleichgelagerten F&auml;lle der Bombendrohung (§ 126 StGB -- St&ouml;rung des &ouml;ffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) ausging, zum anderen ausgebildete Brand- und Umweltermittler mit entsprechender Ausbildung und Schutzausstattung zur Verf&uuml;gung standen. Zun&auml;chst wurden 10 Beamte f&uuml;r die EK abgestellt.</P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">Ziel dieser sofort eingerichteten EK war es, durch eine enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und den Justizbeh&ouml;rden eine <I>schnelle Verurteilung mit einem hohen Strafma&szlig; und somit eine Abschreckung</I> und damit einen R&uuml;ckgang der F&auml;lle herbeizuf&uuml;hren.</P>


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<html><a href="http://wiki2.benecke.com/images/2/22/2002_Kriminalistik_Milzbrandbriefe_Eine_neue_Waffe_des_Terrorismus_Mark_Benecke_ua.pdf" target="_blank"><img src="http://wiki2.benecke.com/images/1/1b/2002_Kriminalistik_Milzbrandbriefe_Eine_neue_Waffe_des_Terrorismus_Mark_Benecke_ua_preview.jpg" border="0" height="150" align="middle"><figcaption>Klick für's PDF!</figcaption></a></html>  
<P ALIGN="JUSTIFY">Um das zu erreichen, wurde durch die EK ein Tatortteam eingesetzt. Aufgabe des Tatortteams war die zeitnahe Erkenntnisgewinnung vor Ort unter Ber&uuml;cksichtigung der Gefahrenlage und die sofortige Weitergabe von vorhandenen Ermittlungsans&auml;tzen an die EK und somit an die bereitgehaltenen Ermittlungsteams.</P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">Bei allen Eins&auml;tzen trat die grunds&auml;tzliche Problematik auf, dass die Polizei von Trittbrettfahrern ausging, jedoch eine m&ouml;gliche Gef&auml;hrdung durch einen echten Anthrax-Brief nicht auszuschlie&szlig;en war.</P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">Aus diesem Grund war es f&uuml;r die EK zwingend erforderlich, Informationen von Fachleuten zu erlangen, wie beispielsweise durch Dr. M. Benecke, mit denen ein praxisgerechter Umgang und eine realistische Gefahrenbewertung  erarbeitet wurde.</P>


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<B><P ALIGN="JUSTIFY">Praktisch angemessene Umgangsweise mit dem m&ouml;glicherweise ansteckenden Material </P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">Wir versuchten unter anderem, die scheinbar recht verschiedenen Darstellungen deutscher und U.S.-amerikanischer Stellen zum Eigenschutz und dem Schutz der Bev&ouml;lkerung intelligent und angemessen umsetzbar zu machen. Medien wie der <I>Spiegel</I> hatten &Auml;u&szlig;erungen aus dem Robert-Koch-Institut stark verk&uuml;rzt als: &quot;Nicht ber&uuml;hren, nicht einatmen, nicht kosten&quot; wiedergegeben. Das U.S.-amerikansiche <I>Center for Disease Control</I> gab sich auf seiner Website ab dem 12. Oktober 2001 wesentlich n&uuml;chterner und riet offiziell: </P>


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'''Nach den Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 wurden in den USA mehrere Milzbranderkrankungen bekannt. Einige der Erkrankten verstarben an den Folgen der Infektion. Ermittlungen zufolge waren die Infektionen offensichtlich durch Briefe verursacht worden, die mit Milzbrandsporen versetzt waren und auf dem üblichen Postweg an verschiedene Regierungseinrichtungen sowie an Medienvertreter versandt wurden. Lähmender Schrecken breitete sich aus. Auch in Deutschland. Der folgende Aufsatz beschreibt den Ablauf eines Falles und gibt Tipps für eine angemessene Umgangsweise mit ansteckendem Material.'''<br>


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<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Ruhe bewahren</LI></P>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Warum erscheint die Sendung verd&auml;chtig? Prominenter Empf&auml;nger? Kein Absender? &Uuml;berfrankiert? Beschmiert (Werkstatt/Labor)?</LI></P>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Beachte: Biowaffenf&auml;hige Milzbrand-Erreger m&uuml;ssen in stark pulverisierte Form gebracht werden, um viele Menschen am nicht sofort &auml;u&szlig;erlich erkennenbaren Lungenmilzbrand erkranken zu lassen. Es gibt aber kaum Firmen oder Forscher, die das de facto verm&ouml;gen.</LI></P>


<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Beh&auml;ltnisse mit m&ouml;glichen Erregern in Pulverform nicht sch&uuml;tteln. Daf&uuml;r sorgen, dass kein Durchzug (Innenr&auml;ume) oder sonstige Verwirbelung (im Freien etwa durch Plastikplanen) entsteht. </LI></P>
Mit der Verbreitung von "Milzbrandbriefen" in den USA tauchten auch in Deutschland Briefe auf, die allem Anschein nach mit einem weißen Pulver kontaminiert waren. Der Ursprung dieses Pulvers war nicht nachzuvollziehen. Der Verdacht auf Milzbranderreger wurde daher weitgehend in die Lagebeurteilungen einbezogen. Teilweise wurden sogenannte "Trittbrettfahrer-Briefe" in öffentlichen Umlauf gebracht, die mit der Aufschrift "Milzbrand", "Anthrax" o. ä. versehen waren (Abb. 1, 2). Das führte zu einer erheblichen Verunsicherung in der Öffentlichkeit, zumal sich die Presse regelrecht auf diese Vorfälle stürzte. Bundesweit wurden nun Ermittlungsgruppen der Polizei eingesetzt, um die Situation sach- und lagegerecht zu bearbeiten.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Umschl&auml;ge o.&auml;. in (ggf. dicht schlie&szlig;ende) durchsichtige Plastikt&uuml;ten bringen, erst dann n&auml;her betrachten oder, falls notwendig, in der T&uuml;te &ouml;ffnen.</LI></P></UL>


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<P ALIGN="JUSTIFY">Diese realistischen Regeln konnten teils auch besorgten B&uuml;rgern nahegebracht werden, die nach Erhalt eines ihnen verd&auml;chtig erscheinenden Briefes den Polizeinotruf gew&auml;hlt hatten. </P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">Uns war bewu&szlig;t, dass Gummi-Handschuhe, Schutzanz&uuml;ge und ggf. auch Atemschutz vor Ort zwar sinnvolle Schutzma&szlig;nahmen darstellen, um das Risiko von Hautkontakt und Einatmen des Erregers zu verringern. Sie k&ouml;nnen aber kein perfekter Schutz sein, weil die Sporen sich auch in Haaren, Falten usw. verfangen k&ouml;nnen. Aus kriminalbiologischer Sicht wurde daher vorgeschlagen, notfalls auch ohne erkannten Kontakt mit dem Erreger auf m&ouml;gliche Krankheitserscheinungen zu achten und im Zweifel sofort einen Test in einem Krankenhaus durchf&uuml;hren zu lassen. Das ist sinnvoll, da dann in allen F&auml;llen gen&uuml;gend Zeit bleibt, um die Krankheit dauerhaft und sicher auszuheilen. F&uuml;r die Fundort-Beamten besteht unter diesen Bedingungen selbst bei Gegenwart des Erregers in der Luft und auch ohne Tragen von Vollschutz keine Lebensgefahr. Auch in den USA kam es nur dann zu Todesf&auml;llen, wenn die Krankheit nicht rechtzeitig erkannt wurde.</P>


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Im folgenden Bericht wird beispielhaft von der Ermittlungskommission "Briefe" beim Polizeipräsidium Köln berichtet sowie aus kriminalbiologischer Sicht erläutert, welchen Gefahren man im Umgang mit dem Bakterium "Anthrax" ausgesetzt ist und wie man praxisorientiert damit umgehen kann.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Au&szlig;erdem wurden in der EK einige Handgriffe mikrobiologischen Arbeitens gemeinsam betrachtet, die wiederum sehr einfach klingen, aber wirkungsvoll sind:</P>
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<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Beim Verbringen des untersuchten Objektes stets Packpapier (Einweg) unterlegen. </LI></P>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Arbeitsfl&auml;chen abschlie&szlig;end stets mit reichlich um etwa 1/4 mit Leitungswasser gestrecktem Brennspiritus abwischen.</LI></P>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Beim Arbeiten vor allem die H&auml;nde sch&uuml;tzen, ggf. mit doppelten Einweghandschuhen.</LI></P></UL>


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[[File:2002 Kriminalistik Milzbrandbriefe Eine neue Waffe des Terrorismus Mark Benecke ua abbildung 1.jpg|thumb|350px|left|Abb. 1: Dieser aufgefundene Umschlag mit beidseitiger Aufschrift "Gift" löste umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen aus. Mikrobiologisch negativ getestet; Inhalt in Geruch und Farbe wie Zimt-Zucker-Gemisch. (Foto: Benecke & KK 13/14 PP Köln)]]
<P ALIGN="JUSTIFY">Wichtig f&uuml;r die Gefahrenabsch&auml;tzung am Fundort war, dass Milzbrand eine <I>leicht mit Antibiotika zu behandelnde</I> Krankheit ist, die <I>nicht im Sinne einer Seuche von Person zu Person ansteckend </I>ist. Die Krankheit k&uuml;ndigt sich zudem durch erk&auml;ltungsartige Zeichen (Ermattung, Fieber) an und kann innerhalb kurzer Zeit -- beispielsweise in einer Universit&auml;tsklinik -- diagnostiziert werden. </P>
===<font color=orange>Die "Milzbrand-Idioten" und die EK Briefe</font>===
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<P ALIGN="JUSTIFY">Milzbrand war im &uuml;brigen fr&uuml;her eine Berufskrankheit (etwa bei Abdeckern). Auf der Haut (nicht aber im K&ouml;rperinneren) konnte lange unbehandelter Milzbrand von selbst abheilen. Erst, wenn er durch eine Wunde von der Haut ins K&ouml;rperinnere gelangte, wurde der Keim gegebenenfalls t&ouml;dlich.  </P>


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Am Freitag, dem 12. Oktober 2001, wurde in Köln ein Briefumschlag mit der Aufschrift "Milzbrand" an einem PKW in der Innenstadt aufgefunden. Eine Politesse der Stadt Köln fand den Briefumschlag hinter dem Scheibenwischer eines parkenden PKW. Sie informierte die Polizei und die Berufsfeuerwehr Köln. Durch die eingesetzten Kräfte wurde der gesamte Straßenzug abgesperrt. Die Feuerwehr erschien mit insgesamt 15 Fahrzeugen unter dem Einsatzstichwort "Biofund 1".<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Biowaffenf&auml;hige Milzbrand-St&auml;mme, die gegen heutige Antibiotika mehrfach unempfindlich sind, finden sich in der Natur praktisch nicht. Selbst mit gro&szlig;em Personalaufwand
k&ouml;nnen sie in einem modernen Labor kaum und ganz sicher nicht in m&ouml;glichen W&uuml;sten-Labors hergestellt werden. </P>
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<B><P ALIGN="JUSTIFY">Kriminalistische &Uuml;berlegungen</P>
</B><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Aus kriminalistischer Sicht erschien es uns, dass m&ouml;gliche T&auml;ter die nur begrenzt verf&uuml;gbaren Milzbrand-Sporen mit sehr gro&szlig;em
Aufwand hergestellt oder erworbenen haben m&uuml;ssten. Diese Person(en) w&uuml;rden, wenn sie terroristische Erfolgsabsichten h&auml;tten, das aus ihrer Sicht wertvolle Material eher nicht in auffallenden -- erst recht nicht in markierten Briefen -- versenden, sondern in unauff&auml;lligere Sendungen verstecken oder ganz anders verteilen. </P>


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<I><P ALIGN="JUSTIFY">Lebende</I> Milzbrand-Kulturen lassen sich praktisch nicht sinnvoll als Biowaffe einsetzen, da sie schon durch den Transport mit der Post oder durch zuf&auml;llige Lagerung der Sendung absterben k&ouml;nnen. Daher liegt vor allem die Verbreitung in der Luft als <I>Sporen </I>nahe. Sporen sind ein stabiles Ruhestadium von Milzbrand-Erregern (und anderen Bakterien). In diesem Zustand k&ouml;nnen sie Jahre ausharren, bis sie durch Feuchte wieder in aktives Leben &uuml;bergehen. </P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">Eine bereits erfolgte Verteilung von Milzbrandsporen durch die Luft w&uuml;rde allerdings nicht mehr in den Aufgabenbereich der EK fallen k&ouml;nnen. Im Grunde gilt das auch schon f&uuml;r Briefe, die durch die Post bef&ouml;rdert wurden, denn in den USA wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit Sporen innerhalb der Brief-Sortiermaschinen verteilt. </P>


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Bevor sich dann jedoch ein voll ausgestatteter ABC-Einsatztrupp in Chemieschutzanzügen an das Fahrzeug begeben konnte (Abb. 3), meldeten sich schon die zwei Täter. Sie konnten durch ihr Geständnis vor Ort den weiteren Einsatz der Feuerwehr verhindern. Sie wurden vorläufig festgenommen. Später wurden sie durch die Medien überregional als die "Milzbrand-Idioten" bekannt. Besonders die Mittelrheinische Boulevardzeitung Express bemühte sich um betont erzieherisch wirksame Einwirkung und berichtete bis zuletzt über die beiden Täter (Abb. 4).<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Der in die USA &uuml;bergelaufene Leiter des russischen Biowaffenprogramms


&quot;Ken Alibek&quot; berichtet andererseits, dass auch mit viel Erfahrung kaum Menschen durch das Verstreuen der Sporen in der Luft anzustecken sind. </P>
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Nun stiegen die Milzbrand-Verdachtsfälle sprunghaft an. Das führte zu der Einrichtung der EK Briefe. Beim PP Köln wurde die sachliche Zuständigkeit beim KK 13/14 (Brand, Sprengstoff) gesehen, weil man zum einen von der allgemeinen Zuständigkeit im Hinblick auf die gleichgelagerten Fälle der Bombendrohung (§ 126 StGB - Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) ausging, zum anderen ausgebildete Brand- und UmweltermittIer mit entsprechender Ausbildung und Schutzausstattung zur Verfügung standen. Zunächst wurden zehn Beamte für die EK abgestellt.<br>
Milzbranderreger galten lange als besonders gef&auml;hrliche Biowaffe, weil Experimente damit auf einer Insel durchgef&uuml;hrt worden waren, die dann gesperrt wurde. Das machte einen nachdr&uuml;cklichen Eindruck auf die &Ouml;ffentlichkeit. </P>


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<P ALIGN="JUSTIFY">Der Leiter des damals trotz internationalen Verbots laufenden sowjetischen/russischen Biowaffenprogramms hatte, nachdem er in den 1990er Jahren in die USA &uuml;bergelaufen war, in einem Buch geschildert, dass es nur unter erheblichem biotechnologischem Aufwand gelang, mit biologischen Waffen wie Anthrax-Sporen eine gro&szlig;e Anzahl Lebewesen zu infizieren (die Versuche wurden mit Affen durchgef&uuml;hrt). Gew&ouml;hnliche Milzbrand-Keime, auch in Sporen-Form, scheinen nicht ohne weiteres zur Massen-Ansteckung von Menschen durch Auspusten in die Atemluft (etwa von einem h&ouml;heren Haus aus) geeignet zu sein. Die biologischen Gr&uuml;nde daf&uuml;r sind nicht bekannt.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Beispielsweise kam es im M&auml;rz 1979 in Swerdlowsk zu einem mehrere Stunden andauernden Austritt von Milzbrandsporen aus einer Biowaffenfabrik. Zwar starben innerhalb einer Woche alle Arbeiter einer Fabrik <I>auf der anderen Stra&szlig;enseite</I>, <I>wohin der Wind wehte</I>. Diese Arbeiter starben aber nur, weil sie eine sehr hohe Menge der Keime einatmeten und nicht behandelt wurden, da das erstens politisch nicht gew&uuml;nscht war (Vertuschung wegen internationalem Biowaffenverbot) und der Unfall zweitens erst sehr sp&auml;t bemerkt wurde. Insofern liegt hier keine &Auml;hnlichkeit mit dem Szenario &quot;Brief im Supermarkt/unter dem Scheibenwischer/auf der Stra&szlig;e&quot; vor. </P>


<P ALIGN="JUSTIFY">Die Ansteckungszeit f&uuml;r einen der Arbeiter betrug offenbar nur einen Tag, im &uuml;brigen wurde die normale Inkubationszeit von drei bis vier Tagen beobachtet.</P>
Ziel dieser sofort eingerichteten EK war es, durch eine enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und den Justizbehörden eine schnelle Verurteilung mit einem hohen Strafmaß und somit eine Abschreckung und damit einen Rückgang der Fälle herbeizuführen.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Die in Swerdlowsk erwiesenerma&szlig;en nach au&szlig;en verwehten Keime infizierten au&szlig;er den genannten Arbeitern in der Nachbarschaft nur einige Dutzend Menschen (!), darunter vor allem M&auml;nner (also erstaunlicherweise nicht Frauen und Kinder. Vermutlich lag das daran, dass es ein Freitag Abend war, an dem die M&auml;nner Kneipenumz&uuml;ge veranstalteten. Es ist aber auch schon fr&uuml;her beobachtet worden, dass M&auml;nner zehnmal h&auml;ufiger erkranken als Frauen, evtl. wg. Berufsaus&uuml;bung). </P>
</DIR>


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<P ALIGN="JUSTIFY">Die in den USA deutlich erh&ouml;hte Sicherheitsstufe (Abb. 5) beim Fund m&ouml;glicher Antrax-Sendungen erkl&auml;rte sich nur aus kriminalistischen Gr&uuml;nden (Zielland der Terroristen), aber nicht, weil dort andere biologische &Uuml;berlegungen gemacht wurden. Es war aber wesentlich wahrscheinlicher, dort wirkliche Milzbrand-Erreger anzutreffen. In den USA gibt es nach Angaben des FBI auch mehrere tausend Firmen, die mit Milzbrandsporen arbeiten. Diese sind allerdings nicht unbedingt &quot;biowaffenf&auml;hig&quot;, das hei&szlig;t gut lagerbar, gut verteilbar und gegen Antibiotika unempfindlich.</P>
Um das zu erreichen, wurde durch die EK ein Tatortteam eingesetzt. Aufgabe des Tatortteams war die zeitnahe Erkenntnisgewinnung vor Ort unter Berücksichtigung der Gefahrenlage und die sofortige Weitergabe von vorhandenen Ermittlungsansätzen an die EK und somit an die bereitgehaltenen Ermittlungsteams.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Beh&ouml;rdliche Zusammenarbeit bei &quot;Milzbrand&quot;-Meldungen</P>


</B><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Nach diesem Einblick zur&uuml;ck zur K&ouml;lner EK. Die Problematik insgesamt sowie der hohe Kr&auml;fteansatz der  Feuerwehr bei jedem einzelnen Einsatz f&uuml;hrte zu einer Absprache der Polizeif&uuml;hrung mit den anderen betroffenen Beh&ouml;rden und Institutionen. Dazu geh&ouml;rte das Gesundheitsamt der Stadt K&ouml;ln, der Berufsfeuerwehr K&ouml;ln und das Mikrobiologischen Institut der Universit&auml;t K&ouml;ln. Dabei wurde nachfolgend aufgef&uuml;hrte Verfahrensweise festgelegt:</P>
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<P ALIGN="JUSTIFY">
Bei allen Einsätzen trat die grundsätzliche Problematik auf, dass die Polizei von Trittbrettfahrern ausging, jedoch eine mögliche Gefährdung durch einen echten Anthrax-Brief nicht auszuschließen war.<br>
Erstma&szlig;nahmen durch die eingesetzten Einsatzmittel (Streifenwagen), Absperrung im Radius von 25 m, Anforderung der EK.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">
Gemeinsame Gefahrenbeurteilung vor Ort durch die Feuerwehr (Messleitwagen) und das Tatortteam der EK. Kategorisierung bzw. Priorit&auml;tenfestlegung laut Schema vor Ort.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">
Erkenntnisgewinnung durch Tatort-Arbeit (soweit m&ouml;glich), anschlie&szlig;ende Bergung des Gegenstandes durch die Feuerwehr und Transport durch diese.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">
Untersuchung im Mikrobiologischen Institut der Universit&auml;t K&ouml;ln.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">
Meldewege (auch Benachrichtigung der Einsatzkr&auml;fte &uuml;ber das Untersuchungsergebnis, Absetzen von WE-Meldungen, etc.).</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">
Nach Freigabe des Gegenstandes erfolgten die &uuml;blichen kriminaltechnischen Untersuchungen.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
Aus diesem Grund war es für die EK zwingend erforderlich, Informationen von Fachleuten zu erlangen, wie beispielsweise durch Dr. M. Benecke, mit denen ein praxisgerechter Umgang und eine realistische Gefahrenbewertung erarbeitet wurde.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">
Weitere Ermittlungen durch die EK.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P></DIR>
</DIR>


<P ALIGN="JUSTIFY">Nach dem o.a. Schema wurden ab sofort die Eins&auml;tze gefahren. Die Zusammenarbeit zwischen der Feuerwehr und der Polizei hatte sich innerhalb k&uuml;rzester Zeit eingespielt.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Das Mikrobiologische Institut der Universit&auml;t K&ouml;ln erhielt zu dieser Zeit Proben von milzbrandverd&auml;chtigen Gegenst&auml;nden aus fast ganz Nordrhein-Westfalen. Nach anf&auml;nglichen Schwierigkeiten aufgrund des hohen Probenaufkommens erfolgte eine sofortige Bearbeitung aller eingereichten Proben mit einem Ergebnis nach sp&auml;testens 48 Stunden. Hier leistete das Institut mit zus&auml;tzlich abgestelltem Personal sehr gute Arbeit.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
[[File:2002 Kriminalistik Milzbrandbriefe Eine neue Waffe des Terrorismus Mark Benecke ua abbildung 2.jpg|thumb|350px|right|Abb. 2: Auch dieses aufgefundenes Werbe-Faltblatt mit derAufschrift"Bayer Milzbrand" löste umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen aus. (Foto: Benecke & KK 13/14 PP Köln)]]
<P ALIGN="JUSTIFY">Problematischer war hier die Zusammenarbeit mit der origin&auml;r zust&auml;ndigen Beh&ouml;rde, dem Gesundheitsamt der Stadt K&ouml;ln. Eine Erreichbarkeit der zust&auml;ndigen &Auml;rzte bei akuten Einsatzlagen war nicht gegeben. Weiterhin richtete die Beh&ouml;rde keinen Bereitschaftsdienst ein und war weder an den Wochenenden noch an den Feiertagen erreichbar. Erst nach massiver Einflussnahme durch Polizei und Feuerwehr wurde nach drei Wochen ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, der per Handy abrufbar war.</P>
===<font color=orange>Praktisch angemessene Umgangsweise mit dem möglicherweise ansteckenden Material</font>==
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Polizeiintern gab es Probleme bei der Erg&auml;nzung vorhandener bzw. zus&auml;tzlicher Beschaffung von Schutzbekleidung. Dies wurde zun&auml;chst mit der Begr&uuml;ndung abgelehnt, dass eine Tatortarbeit vor der Mitteilung des Untersuchungsergebnisses nicht n&ouml;tig sei. Schriftverkehr diesbez&uuml;glich lief &uuml;ber zwei Wochen bis in das Innenministerium.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
Wir versuchten unter anderem, die scheinbar recht verschiedenen Darstellungen deutscher und US-amerikanischer Stellen zum Eigenschutz und dem Schutz der Bevölkerung intelligent und angemessen umsetzbar zu machen. Medien wie der Spiegel hatten Äußerungen aus dem Robert-Koch-Institut stark verkürzt als: "Nicht berühren, nicht einatmen, nicht kosten" wiedergegeben. Das US-amerikanische Center for Disease Contral gab sich auf seiner Website ab dem 12. Oktober 2001 wesentlich nüchterner und riet offiziell:<br>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Drei beispielhafte Lagen</P>
</B><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">In den sechs Wochen von Oktober bis November 2001, in denen die meisten Eins&auml;tze anfielen, wurden 85 Milzbrandverdachtsf&auml;lle durch die EK bearbeitet, 29 Ermittlungsverfahren gem. § 126 StGB eingeleitet und sieben Tatverd&auml;chtige ermittelt.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Die tats&auml;chliche Zahl der in diesem Zusammenhang gefahrenen Eins&auml;tze liegt jedoch deutlich h&ouml;her. Dies erkl&auml;rt sich dadurch, dass in vielen F&auml;llen durch das Tatortteam oder die eingesetzten Beamten der Schutzbereiche ein Milzbrandhintergrund schon im ersten Ansatz ausgeschlossen werden konnte.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
• Ruhe bewahren<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Beispielhaft werden im folgenden einige F&auml;lle geschildert:</P>


<OL>
• Warum erscheint die Sendung verdächtig? Prominenter Empfänger? Kein Absender? Überfrankiert? Beschmiert (Werkstatt/Labor)?<br>
<LI><P ALIGN="JUSTIFY">Am 17. Oktober 2001 wurde beim Verladen von Gep&auml;ckst&uuml;cken in ein Flugzeug am K&ouml;ln/Bonner Flughafen das Austreten von wei&szlig;em Pulver aus einem Koffer bemerkt. Der Koffer geh&ouml;rte einem kuwaitischen Staatsangeh&ouml;rigen. Dieser Hintergrund reichte aus, um den Kuwaiti dem Polizeipr&auml;sidium zuzuf&uuml;hren. Eine Probe des Pulvers wurde dem Mikrobiologischen Institut K&ouml;ln zur Untersuchung &uuml;berbracht. Die Maschine konnte dann mit erheblicher Versp&auml;tung, nach Freigabe durch das Gesundheitsamt, abfliegen. <br>


<br>
• Beachte: Biowaffenfähige Milzbrand-Erreger müssen in stark pulverisielte Form gebracht werden, um viele Menschen am nicht sofort äußerlich erkennenbaren Lungenmilzbrand erkranken zu lassen. Es gibt aber kaum Firmen oder Forscher, die das de facto vermögen.<br>
In diesem Fall entstanden Einsatzkosten in H&ouml;he von 23.000 Euro.<br><br>


<LI> <P ALIGN="JUSTIFY">In einer K&ouml;lner Chemie-Firma beging ein Arbeiter einen &quot;schlechten Scherz&quot;, indem er seinem Kollegen im Umkleideraum einen Brief mit der Aufschrift &quot;Milzbrand&quot; und einem wei&szlig;en Pulver als Inhalt in die Spindt&uuml;r steckte. Der betroffene Arbeitskollege erschrak sich, der T&auml;ter trat hinzu und beide lachten &uuml;ber den Scherz. Der Brief blieb liegen und wurde einige Zeit sp&auml;ter durch einen unbeteiligten Dritten gefunden, der die Polizei informierte. Gegen die beiden erstgenannten wurde ein Verfahren gem. § 126 StGB  eingeleitet.</P>
• Behältnisse mit möglichen Erregern in Pulverform nicht schütteln. Dafür sorgen, dass kein Durchzug (Innenräume) oder sonstige Verwirbelung (im Freien etwa durch Plastikplanen) entsteht.<br>


<P ALIGN="JUSTIFY">&#9;Das Strafverfahren wurde durch die Justizbeh&ouml;rden eingestellt und der Vorfall als &quot;Scherz&quot; gewertet, obwohl eine Au&szlig;enwirkung vorhanden war.</P>
• Umschläge o. ä. in (gegebenenfalls dicht schließende) durchsichtige Plastiktüten bringen, erst dann näher betrachten oder, falls notwendig, in der Tüte öffnen.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<li> Am 31. Oktober 2001, dem Halloween-Abend, verstreute eine Gruppe Kinder und Jugendlicher als &quot;Halloween-Scherz&quot; zwei T&uuml;ten Mehl im Bereich von drei Stra&szlig;enz&uuml;gen (ca. 600 m). Besorgte Anwohner riefen am Morgen des 1. November 2001 (Wochenfeiertag (Allerheiligen)) Feuerwehr und Polizei.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY">Aufgrund der gro&szlig;fl&auml;chigen &quot;Kontamination&quot; wurde durch die Feuerwehr der Einsatz &quot;Biofund 3&quot; ausgel&ouml;st und fast alle in Dienst befindlichen Einsatzmittel der Feuerwehr wurden an den Einsatzort beordert. </P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Durch den Einsatzleiter der Polizei wurde eine BAO ausgel&ouml;st und eine Kr&auml;ftesammelstelle eingerichtet.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Durch das Tatort-Team der EK und dem Messleitwagen der BF K&ouml;ln wurde das wei&szlig;e Pulver als Mehl eingestuft. Eine Klarheit dar&uuml;ber gab es jedoch nicht und es wurden Proben gezogen. </P>


<P ALIGN="JUSTIFY">Durch vor Ort eingeleitete Ermittlungen konnte die Gruppe Kinder ermittelt und ausfindig gemacht werden. Durch ihre Aussagen konnte dieser Einsatz abgebrochen werden.</P>
Diese realistischen Regeln konnten teils auch besorgten Bürgern nahegebracht werden, die nach Erhalt eines ihnen verdächtig erscheinenden Briefes den Polizeinotruf gewählt hatten.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Zu diesem Zeitpunkt hatte die Feuerwehr bereits ca. 100 m einer Stra&szlig;e desinfiziert.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
</dir></dir></p></ol>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Lehren </P></b>


<P ALIGN="JUSTIFY">Als Resum&eacute;e aus sechs Wochen hektischer Arbeit mit bis zu 35 &Uuml;berstunden pro Woche ergibt sich, dass die angestrebte polizeiliche Strategie nicht aufging:</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>


<UL>
Uns war bewusst, dass GummiHandschuhe, Schutzanzüge und gegebenenfalls auch Atemschutz vor Ort zwar sinnvolle Schutzmaßnahmen darstellen, um das Risiko von Hautkontakt und Einatmen des Erregers zu verringern, Sie können aber kein perfekter Schutz sein, weil die Sporen sich auch in Haaren, Falten usw. verfangen können. Aus kriminalbiologischer Sicht wurde daher vorgeschlagen, notfalls auch ohne erkannten Kontakt mit dem Erreger auf mögliche Krankheitserscheinungen zu achten und im Zweifel sofort einen Test in einem Krankenhaus durchführen zu lassen. Das ist sinnvoll, da dann in allen Fällen genügend Zeit bleibt, um die Krankheit dauerhaft und sicher auszuheilen. Für die Fundort-Beamten besteht unter diesen Bedingungen selbst bei Gegenwart des Erregers in der Luft und auch ohne Tragen von Vollschutz keine Lebensgefahr. Auch in den USA kam es nur dann zu Todesfällen, wenn die Krankheit nicht rechtzeitig erkannt wurde.<br>


<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Es erfolgten keine zeitnahen Verurteilungen und somit keine Abschreckung; auch das Strafma&szlig; war dazu nicht geeignet (Geldstrafen, Abb. 4).</LI></P></UL>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
Außerdem wurden in der EK einige Handgriffe mikrobiologischen Arbeitens gemeinsam betrachtet, die wiederum sehr einfach klingen, aber wirkungsvoll sind:<br>


<UL>
• Beim Verbringen des untersuchten Objektes stets Packpapier (Einweg) unterlegen.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Das Kernproblem waren nicht so sehr die Trittbrettfahrer, wie die Gesamtzahl der F&auml;lle zeigt, sondern die ausgesprochene Hysterie im Umgang mit der Sache. Die &uuml;berschnelle Reaktion von Fernsehsendern und -teams in der Medienstadt K&ouml;ln sowie die au&szlig;erordentlich breite Berichterstattung in Zeitungen trug dazu bei.</LI></P></UL>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
• Arbeitsflächen abschließend stets mit reichlich um etwa 1/4 mit Leitungswasser gestrecktem Brennspiritus abwischen.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Das Ph&auml;nomen &quot;Milzbrand&quot; verschwand nach Einstellung bzw. Abklingen der Berichterstattung wie es gekommen war.</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
• Beim Arbeiten vor allem die Hände schützen, gegebenenfalls mit doppelten Einweghandschuhen.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY">Bleibt nur noch der Blick in die Zukunft:</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"> </P>


<UL>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Die Angst hat sich gelegt, aber wie lange?</LI></P>
<P ALIGN="JUSTIFY"><LI>Wer sagt uns, dass nicht eines Tages doch der Ernstfall eintritt?</LI></P></UL>


<br>
Wichtig für die Gefahrenabschätzung am Fundort war, dass Milzbrand eine leicht mit Antibiotika zu behandelnde Krankheit ist, die nicht im Sinne einer Seuche von Person zu Person ansteckend ist. Die Krankheit kündigt sich zudem durch erkältungsartige Zeichen (Ermattung, Fieber) an und kann innerhalb kurzer Zeit - beispielsweise in einer Universitätsklinik - diagnostiziert werden.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"><b>Abbildungen</b></P>
</B><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Abb. 1:</B> Dieser aufgefundene Umschlag mit beidseitiger Aufschrift &quot;Gift&quot; l&ouml;ste umfangreiche Sicherheitsma&szlig;nahmen aus. Mikrobiologisch negativ getestet; Inhalt in Geruch und Farbe wie Zimt-Zucker-Gemisch. (Foto: Benecke &amp; KK 13/14 PP K&ouml;ln)</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Abb. 2:</B> Auch dieses aufgefundenes Werbe-Faltblatt mit der Aufschrift &quot;Bayer Milzbrand&quot; l&ouml;ste umfangreiche Sicherheitsma&szlig;nahmen aus. (Foto: Benecke &amp; KK 13/14 PP K&ouml;ln)</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Abb. 3: </B>Asservierung am Fundort in K&ouml;ln (Foto: Jens Koch)</P>


<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
Milzbrand war im Übrigen früher eine Berufskrankheit (etwa bei Abdeckern). Auf der Haut (nicht aber im Körperinneren) konnte lange unbehandelter Milzbrand von selbst abheilen. Erst, wenn er durch eine Wunde von der Haut ins Körperinnere gelangte, wurde der Keim gegebenenfalls tödlich.<br>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Abb. 4:</B> Zeitungsauschnitt: Unzufriedenheit der K&ouml;lner B&uuml;rger wegen als zu niedrig empfundener Strafe gegen die Leger des ersten &quot;Milzbrand&quot;-Umschlages (in alkoholisiertem Zustand als Scherz) aus der Rheinischen Boulevardzeitung <I>Express</I>.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">Abb. 5:</B> Asservierungsma&szlig;nahmen beim FBI. (Dort kriminalistisch angemessen.) (Foto: FBI)</P>




Biowaffenfähige Milzbrand-Stämme, die gegen heutige Antibiotika mehrfach unempfindlich sind, finden sich in der Natur praktisch nicht. Selbst mit großem Personalaufwand können sie in einem modernen Labor kaum und ganz sicher nicht in möglichen Wüsten-Labors hergestellt werden.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"><b>Anmerkungen</b></P>
</B><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">1:</B>
Ausf&uuml;hrlicher Bericht incl. Details zu erstem Milzbrand-Brief
(an <i>Johanna Huden</i>, Mitarbeiterin der <i>New York Times</i>) und Verteilungsmuster der Sporen, auch in den Post-Anlagen: Lipton E, Johnson K: Tracking bioterror’s tangled course. New York Times, 26. Dez. 2001 
</P><P ALIGN="JUSTIFY"></P>


<B><P ALIGN="JUSTIFY">2:</B>
Vgl. Ken Alibek: <i>Biohazard. The Chilling True Story of the Largest Biological Weapons
Program in the World - Told from the Inside by the Man Who Ran It</i>, Random House, New York, 1999.


</P><P ALIGN="JUSTIFY"></P>
[[File:2002 Kriminalistik Milzbrandbriefe Eine neue Waffe des Terrorismus Mark Benecke ua abbildung 3.jpg|thumb|350px|left|Abb. 3: Asservierung am Fundort in Köln (Foto: Jens Koch)]]
===<font color=orange>Kriminalistische Überlegungen</font>=== 


<B><P ALIGN="JUSTIFY">3: </B>vgl. Schneewei&szlig;: <i>Spezielle Mikrobiologie</i>, Berlin 1968, S. 131.</P>
Aus kriminalistischer Sicht erschien es uns, dass mögliche Täter die nur begrenzt verfügbaren Milzbrand-Sporen mit sehr großem Aufwand hergestellt oder erworbenen haben müsste. Diese Person(en) würden, wenn sie terroristische Erfolgsabsichten hätten, das aus ihrer Sicht wertvolle Material eher nicht in auffallenden - erst recht nicht in markierten Briefen - versenden, sondern in unauffälligere Sendungen verstecken oder ganz anders verteilen.<br>
<P ALIGN="JUSTIFY"></P>
<B><P ALIGN="JUSTIFY">4:</B> BAO = Besondere Aufbauorganisation</P>
<P ALIGN="JUSTIFY">




Lebende Milzbrand-Kulturen lassen sich praktisch nicht sinnvoll als Biowaffe einsetzen, da sie schon durch den Transport mit der Post oder durch zufällige Lagerung der Sendung absterben können. Daher liegt vor allem die Verbreitung in der Luft als Sporen nahe. Sporen sind ein stabiles Ruhestadium von Milzbrand-Erregern (und anderen Bakterien). In diesem Zustand können sie Jahre ausharren, bis sie durch Feuchte wieder in aktives Leben übergehen.<br>
Eine bereits erfolgte Verteilung von Milzbrandsporen durch die Luft würde allerdings nicht mehr in den Aufgabenbereich der EK fallen können. Im Grunde gilt das auch schon für Briefe, die durch die Post befördert wurden, denn in den USA wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit Sporen innerhalb der Brief-Sortiermaschinen verteilt.<br>
Der in die USA übergelaufene Leiter des russischen Biowaffenprogramms "Ken Alibek" berichtet andererseits, dass auch mit viel Erfahrung kaum Menschen durch das Verstreuen der Sporen in der Luft anzustecken sind.<br>
Milzbranderreger galten lange als besonders gefährliche Biowaffe, weil Experimente damit auf einer Insel durchgeführt worden waren, die dann gesperrt wurde. Das machte einen nachdrücklichen Eindruck auf die Öffentlichkeit.<br>
Der Leiter des damals trotz internationalen Verbots laufenden sowjetischen/russischen Biowaffenprogramms hatte, nachdem er in den 1990er Jahren in die USA übergelaufen war, in einem Buch geschildert, dass es nur unter erheblichem biotechnologischem Aufwand gelang, mit biologischen Waffen wie Anthrax-Sporen eine große Anzahl Lebewesen zu infizieren (die Versuche wurden mit Affen durchgeführt). Gewöhnliche Milzbrand-Keime, auch in Sporen-Form, scheinen nicht ohne weiteres zur Massen-Ansteckung von Menschen durch Auspusten in die Atemluft (etwa von einem höheren Haus aus) geeignet zu sein. Die biologischen Gründe dafür sind nicht bekannt.<sup>2</sup><br>
Beispielsweise kam es im März 1979 in Swerdlowsk zu einem mehrere Stunden andauernden Austritt von Milzbrandsporen aus einer Biowaffenfabrik. Zwar starben innerhalb einer Woche alle Arbeiter einer Fabrik auf der anderen Straßenseite, wohin der Wind wehte. Diese Arbeiter starben aber nur, weil sie eine sehr hohe Menge der Keime einatmeten und nicht behandelt wurden, da das erstens politisch nicht gewünscht war (Vertuschung wegen internationalem Biowaffenverbot) und der Unfall zweitens erst sehr spät bemerkt wurde. Insofern liegt hier keine Ähnlichkeit mit dem Szenario "Brief im Supermarkt/unter dem Scheibenwischer/auf der Straße" vor.<br>
Die Ansteckungszeit für einen der Arbeiter betrug offenbar nur einen Tag, im übrigen wurde die normale Inkubationszeit von drei bis vier Tagen beobachtet.<br>
Die in Swerdlowsk erwiesenermaßen nach außen verwehten Keime infizierten außer den genannten Arbeitern in der Nachbarschaft nur einige Dutzend Menschen (!), darunter vor allem Männer (also erstaunlicherweise nicht Frauen und Kinder. Vermutlich lag das daran, dass es ein Freitag Abend war, an dem die Männer Kneipenumzüge veranstalteten. Es ist aber auch schon früher beobachtet worden, dass Männer zehnmaJ häufiger erkranken als Frauen, eventuell wegen Berufsausübung').<br>
Die in den USA deutlich erhöhte Sicherheitsstufe (Abb. 5) beim Fund möglicher Antrax-Sendungen erklärte sich nur aus kriminalistischen Gründen (Zielland der Terroristen), aber nicht, weil dort andere biologische Überlegungen gemacht wurden. Es war aber wesentlich wahrscheinlicher, dort wirkliche Milzbrand-Erreger anzutreffen. In den USA gibt es nach Angaben des FBI auch mehrere tausend Firmen, die mit Milzbrandsporen arbeiten4 Diese sind allerdings nicht unbedingt "biowaffenfähig", das heißt gut lagerbar, gut verteilbar und gegen Antibiotika unempfindlich.<br>
[[File:2002 Kriminalistik Milzbrandbriefe Eine neue Waffe des Terrorismus Mark Benecke ua abbildung 4.jpg|thumb|350px|right|Abb. 4: Zeitungsauschnitt: Unzufriedenheit der Kölner Bürger wegen als zu niedrig empfundener Strafe gegen die Leger des ersten "Milzbrand"-Umschlages (in alkoholisiertem Zustand als Scherz) aus der Rheinischen Boulevardzeitung Express.]]
===<font color=orange>Behördliche Zusammenarbeit bei "Milzbrand"-Meldungen</font>===
Nach diesem Einblick zurück zur Kölner EK. Die Problematik insgesamt sowie der hohe Kräfteansatz der Feuerwehr bei jedem einzelnen Einsatz führte zu einer Absprache der Polizeiführung mit den anderen betroffenen Behörden und Institutionen. Dazu gehörte das Gesundheitsamt der Stadt Köln, die Berufsfeuerwehr Köln und das Mikrobiologische Institut der Universität Köln. Dabei wurde nachfolgend aufgeführte Verfahrensweise festgelegt:<br>
•  Erstmaßnahmen durch die eingesetzten Einsatzmittel (Streifenwagen), Absperrung im Radius von 25 m, Anforderung derEK.<br>
• Gemeinsame Gefahrenbeurteilung vor Ort durch die Feuerwehr (Messleitwagen) und das Tatortteam der EK. Kategorisierung bzw. Prioritätenfestlegung laut Schema vor Ort.<br>
• Erkenntnisgewinnung durch TatortArbeit (soweit möglich), anschließende Bergung des Gegenstandes durch die Feuerwehr und Transport durch diese.<br>
• Untersuchung im Mikrobiologischen Institut der Universität Köln.<br>
• Meldewege (auch Benachrichtigung der Einsatzkräfte über das Untersuchungsergebnis, Absetzen von WE-Meldungen, etc.).<br>
• Nach Freigabe des Gegenstandes erfolgten die üblichen kriminaltechnischen Untersuchungen.<br>
• Weitere Ermittlungen durch die EK. Nach dem o. a. Schema wurden ab sofort die Einsätze gefahren. Die Zusammenarbeit zwischen der Feuerwehr und der Polizei hatte sich innerhalb kürzester Zeit eingespielt.<br>
Das Mikrobiologische Institut der Universität Köln erhielt zu dieser Zeit Proben von milzbrandverdächtigen Gegenständen aus fast ganz Nordrhein-Westfalen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten aufgrund des hohen Probenaufkommens erfolgte eine sofortige Bearbeitung aller eingereichten Proben mit einem Ergebnis nach spätestens 48 Stunden. Hier leistete das Institut mit zusätzlich abgestelltem Personal sehr gute Arbeit.<br>
Problematischer war hier die Zusammenarbeit mit der originär zuständigen Behörde, dem Gesundheitsamt der Stadt Köln. Eine Erreichbarkeit der zuständigen Ärzte bei akuten Einsatzlagen war nicht gegeben. Weiterhin richtete die Behörde keinen Bereitschaftsdienst ein und war weder an den Wochenenden noch an den Feiertagen erreichbar. Erst nach massiver Einflussnahme durch Polizei und Feuerwehr wurde nach drei Wochen ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, der per Handy abrufbar war.<br>
Polizei intern gab es Probleme bei der Ergänzung vorhandener bzw. zusätzlicher Beschaffung von Schutzbekleidung. Dies wurde zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass eine Tatortarbeit vor der Mitteilung des Untersuchungsergebnisses nicht nötig sei. Schriftverkehr diesbezüglich lief über zwei Wochen bis in das Innenministerium.<br>
[[File:2002 Kriminalistik Milzbrandbriefe Eine neue Waffe des Terrorismus Mark Benecke ua abbildung 5.jpg|thumb|350px|left|Abb. 5: Asservierungsmaßnahmen beim FB!. (Dort kriminalistisch angemessen.) (Foto: FBI)]]
===<font color=orange>Drei beispielhafte Lagen</font>===
In den sechs Wochen von Oktober bis November 2001, in denen die meisten Einsätze anfielen, wurden 85 Milzbrandverdachtsfälle durch die EK bearbeitet, 29 Ermittlungsverfahren gern. § 126 StGB eingeleitet und sieben Tatverdächtige ermittelt.<br>
Die tatsächliche Zahl der in diesem Zusammenhang gefahrenen Einsätze liegt jedoch deutlich höher. Dies erklärt sich dadurch, dass in vielen Fällen durch das Tatortteam oder die eingesetzten Beamten der Schutzbereiche ein Milzbrandhintergrund schon im ersten Ansatz ausgeschlossen werden konnte.<br>
Beispielhaft werden im folgenden einige Fälle geschildert:<br>
1) Am 17. Oktober 2001 wurde beim Verladen von Gepäckstücken in ein Flugzeug am Köln/Bonner Flughafen das Austreten von weißem Pulver aus einem Koffer bemerkt. Der Koffer gehörte einem kuwaitischen Staatsangehörigen. Dieser Hintergrund reichte aus, um den Kuwaiti dem Polizeipräsidium zuzuführen. Eine Probe des Pulvers wurde dem Mikrobiologischen Institut Köln zur Untersuchung überbracht. Die Maschine konnte dann mit erheblicher Verspätung, nach Freigabe durch das Gesundheitsamt, abfliegen. In diesem Fall entstanden Einsatzkosten in Höhe von 23000 Euro.<br>
2) In einer Kölner Chemie-Firma beging ein Arbeiter einen "schlechten Scherz", indem er seinem Kollegen im Umkleideraum einen Brief mit der Aufschrift "Milzbrand" und einem weißen Pulver als Inhalt in die Spindtür steckte. Der betroffene Arbeitskollege erschrak sich, der Täter trat hinzu und beide lachten über den Scherz. Der Brief blieb liegen und wurde einige Zeit später durch einen unbeteiligten Dritten gefunden, der die Polizei informierte. Gegen die beiden erstgenannten wurde ein Verfahren gern. § 126 StGB eingeleitet.<br>
Das Strafverfahren wurde durch die Justizbehörden eingestellt und der Vorfall als "Scherz" gewertet, obwohl eine Außenwirkung vorhanden war.<br>
3) Am 31. Oktober 200I, dem Halloween-Abend, verstreute eine Gruppe Kinder und Jugendlicher als "Halloween-Scherz" zwei Tüten Mehl im Bereich von drei Strassenzügen (ca. 600 m). Besorgte Anwohner riefen am Morgen des 1. November 2001 (Wochenfeiertag: Allerheiligen) Feuerwehr und Polizei. Aufgrund der großflächigen "Kontamination" wurde durch die Feuerwehr der Einsatz "Biofund 3" ausgelöst und fast alle in Dienst befindlichen Einsatzmittel der Feuerwehr wurden an den Einsatzort beordert. Durch den Einsatzleiter der Polizei wurde eine BA0<sup>5</sup> ausgelöst und eine Kräftesammelstelle eingerichtet. Durch das Tatort-Team der EK und dem Messleitwagen der BF Köln wurde das weiße Pulver als Mehl eingestuft. Eine Klarheit darüber gab es jedoch nicht und es wurden Proben gezogen. Durch vor Ort eingeleitete Ermittlungen konnte die Gruppe Kinder ermittelt und ausfindig gemacht werden. Durch ihre Aussagen konnte dieser Einsatz abgebrochen werden.<br>
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Feuerwehr bereits ca. 100 m einer Straße desinfiziert.<br>
===<font color=orange>Lehren</font>===
Als Resumee aus sechs Wochen hektischer Arbeit mit bis zu 35 Überstunden pro Woche ergibt sich, dass die angestrebte polizeiliche Strategie nicht aufging:<br>
• Es erfolgten keine zeitnahen Verurteilungen und somit keine Abschreckung; auch das Strafmaß war dazu nicht geeignet (Geldstrafen, Abb. 4).<br>
• Das Kernproblem waren nicht so sehr die Trittbrettfahrer, wie die Gesamtzahl der Fälle zeigt, sondern die ausgesprochene Hysterie im Umgang mit der Sache. Die überschnelle Reaktion von Fernsehsendern und -teams in der Medienstadt Köln sowie die außerordentlich breite Berichterstattung In Zeitungen trug dazu bei.<br>
Das Phänomen "Milzbrand" verschwand nach Einstellung bzw. Abklingen der Berichterstattung wie es gekommen war. Bleibt nur noch der Blick in die Zukunft:<br>
• Die Angst hat sich gelegt, aber wie lange?<br>
• Wer sagt uns, dass nicht eines Tages doch der Ernstfall eintritt?<br>
Anmerkungen:<br>
1 Ausführlicher Bericht incl. Details zu erstem Milzbrand-Brief (an Johanna Huden, Mitarbeiterin der New York Times) und Verteilungsmuster der Sporen, auch in den Post-Anlagen: Lipton E, Johnson K: Tracking bioterror's tangled course. New York Times, 26. Dez. 2001.<br>
2 Vgl. Ken Alibek: Biohazard. The Chilling True Story of thc Largest Biological Weapons Program in the World - Told from the Inside by the Man Who Ran It, Random House, New York, 1999.<br>
3 Vgl. Schneeweiß: Spezielle Mikrobiologie, Berlin 1968. S. 131.<br>
4 Lt. Michael Rolince auf BKA-Herbsttagung 2002.<br>
5 BAD = Besondere Aufbauorganisation.<br><br>
''Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.''
===<font color=orange>Lesetipps</font>===
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* [[All_Mark_Benecke_Publications#Some_Examples_for_Real_Cases|Weitere reale Fälle]]<br>
* [[2004-05 Kriminalistik: "Schlachtungs"-Handlungen im sadomasochistischen Umfeld|"Schlachtungs"-Handlungen im sadomasochistischen Umfeld]]<br>
* [[2010-02 Kriminalistik: Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 1|Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 1]]<br>
* [[2010-03 Kriminalistik: Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 2 und 3|Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 2 und 3]]<br>
* [[2010-05_Kriminalistik:_Diskussion|Gibt es einen Zusammenhang zwischen Verbrechen & Tattoos?]]<br>
* [[2017 02 Kriminalistik: Handy Abriebe|Rückschlüsse durch Handy-Abriebe]]<br>
* [[2000-10 Kriminalistik: Asservierung von Insekten an Leichen|Asservierung von Insekten an Leichen]]<br>
* [[1997 Kriminalistik 51: Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung. (Techno. Phenomenology of a prevailing trend.)|Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung]]<br>
* [[1996 Kriminalistik: Die DNA-Beweise im Fall Simpson|Die DNA-Beweise im Fall Simpson]]<br>
* [[2011 10 Kriminalistik: Einsatz von übersinnlichen Fähigkeiten|Einsatz von übersinnlichen Fähigkeiten]]<br>


Anmerkung (Internet-Version): Mit Erscheinen dieses Artikels in Heft 2/2002 der </i>Kriminalistik<i>
* [[2018-08 BILD-TV-Inspektor: 3 Fragen zum TATORT (Kontakt-Gifte)|BILD-TV-Inspektor: 3 Fragen zum TATORT (Kontakt-Gifte)]]
starb unerwartet ihr Herausgeber Waldemar Burghard, ehemaliger Leiter
des LKA Niedersachsen. Die siebenj&auml;hrige Zusammenarbeit mit ihm war stets erbaulich, kollegial und anregend.
MB, 20. Feb. 2002<br> </i>


<hr>
* [[2012 03 Kriminalistik: Silikon als Abformmittel in Extremsituationen|Silikon als Abformmittel in Extremsituationen]]<br>  


<div align="justify">
* [[2017 02 maxdomeblog 10 Fragen an MB|10 Fragen an Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke]]<br>
           
</i>
(c) Kriminalistik &amp; Dipl.-Biol. Dr. rer. medic. Mark Benecke,
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Revision as of 11:34, 31 October 2018

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Quelle: Kriminalistik, Heft 56/2002, 56. Jahrgang, Seiten 112 bis 116

Milzbrandbriefe - Eine neue Waffe des Terrorismus?

Oder: Bacillus anthracis auch in Deutschland?

[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]

VON MARK BENECKE, MARTIN MOSER, MICHAEL TREPKES und NORBERT SPAUSCHUS


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Nach den Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 wurden in den USA mehrere Milzbranderkrankungen bekannt. Einige der Erkrankten verstarben an den Folgen der Infektion. Ermittlungen zufolge waren die Infektionen offensichtlich durch Briefe verursacht worden, die mit Milzbrandsporen versetzt waren und auf dem üblichen Postweg an verschiedene Regierungseinrichtungen sowie an Medienvertreter versandt wurden. Lähmender Schrecken breitete sich aus. Auch in Deutschland. Der folgende Aufsatz beschreibt den Ablauf eines Falles und gibt Tipps für eine angemessene Umgangsweise mit ansteckendem Material.


Mit der Verbreitung von "Milzbrandbriefen" in den USA tauchten auch in Deutschland Briefe auf, die allem Anschein nach mit einem weißen Pulver kontaminiert waren. Der Ursprung dieses Pulvers war nicht nachzuvollziehen. Der Verdacht auf Milzbranderreger wurde daher weitgehend in die Lagebeurteilungen einbezogen. Teilweise wurden sogenannte "Trittbrettfahrer-Briefe" in öffentlichen Umlauf gebracht, die mit der Aufschrift "Milzbrand", "Anthrax" o. ä. versehen waren (Abb. 1, 2). Das führte zu einer erheblichen Verunsicherung in der Öffentlichkeit, zumal sich die Presse regelrecht auf diese Vorfälle stürzte. Bundesweit wurden nun Ermittlungsgruppen der Polizei eingesetzt, um die Situation sach- und lagegerecht zu bearbeiten.


Im folgenden Bericht wird beispielhaft von der Ermittlungskommission "Briefe" beim Polizeipräsidium Köln berichtet sowie aus kriminalbiologischer Sicht erläutert, welchen Gefahren man im Umgang mit dem Bakterium "Anthrax" ausgesetzt ist und wie man praxisorientiert damit umgehen kann.


Abb. 1: Dieser aufgefundene Umschlag mit beidseitiger Aufschrift "Gift" löste umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen aus. Mikrobiologisch negativ getestet; Inhalt in Geruch und Farbe wie Zimt-Zucker-Gemisch. (Foto: Benecke & KK 13/14 PP Köln)

Die "Milzbrand-Idioten" und die EK Briefe

Am Freitag, dem 12. Oktober 2001, wurde in Köln ein Briefumschlag mit der Aufschrift "Milzbrand" an einem PKW in der Innenstadt aufgefunden. Eine Politesse der Stadt Köln fand den Briefumschlag hinter dem Scheibenwischer eines parkenden PKW. Sie informierte die Polizei und die Berufsfeuerwehr Köln. Durch die eingesetzten Kräfte wurde der gesamte Straßenzug abgesperrt. Die Feuerwehr erschien mit insgesamt 15 Fahrzeugen unter dem Einsatzstichwort "Biofund 1".


Bevor sich dann jedoch ein voll ausgestatteter ABC-Einsatztrupp in Chemieschutzanzügen an das Fahrzeug begeben konnte (Abb. 3), meldeten sich schon die zwei Täter. Sie konnten durch ihr Geständnis vor Ort den weiteren Einsatz der Feuerwehr verhindern. Sie wurden vorläufig festgenommen. Später wurden sie durch die Medien überregional als die "Milzbrand-Idioten" bekannt. Besonders die Mittelrheinische Boulevardzeitung Express bemühte sich um betont erzieherisch wirksame Einwirkung und berichtete bis zuletzt über die beiden Täter (Abb. 4).


Nun stiegen die Milzbrand-Verdachtsfälle sprunghaft an. Das führte zu der Einrichtung der EK Briefe. Beim PP Köln wurde die sachliche Zuständigkeit beim KK 13/14 (Brand, Sprengstoff) gesehen, weil man zum einen von der allgemeinen Zuständigkeit im Hinblick auf die gleichgelagerten Fälle der Bombendrohung (§ 126 StGB - Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) ausging, zum anderen ausgebildete Brand- und UmweltermittIer mit entsprechender Ausbildung und Schutzausstattung zur Verfügung standen. Zunächst wurden zehn Beamte für die EK abgestellt.


Ziel dieser sofort eingerichteten EK war es, durch eine enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und den Justizbehörden eine schnelle Verurteilung mit einem hohen Strafmaß und somit eine Abschreckung und damit einen Rückgang der Fälle herbeizuführen.


Um das zu erreichen, wurde durch die EK ein Tatortteam eingesetzt. Aufgabe des Tatortteams war die zeitnahe Erkenntnisgewinnung vor Ort unter Berücksichtigung der Gefahrenlage und die sofortige Weitergabe von vorhandenen Ermittlungsansätzen an die EK und somit an die bereitgehaltenen Ermittlungsteams.


Bei allen Einsätzen trat die grundsätzliche Problematik auf, dass die Polizei von Trittbrettfahrern ausging, jedoch eine mögliche Gefährdung durch einen echten Anthrax-Brief nicht auszuschließen war.


Aus diesem Grund war es für die EK zwingend erforderlich, Informationen von Fachleuten zu erlangen, wie beispielsweise durch Dr. M. Benecke, mit denen ein praxisgerechter Umgang und eine realistische Gefahrenbewertung erarbeitet wurde.


Abb. 2: Auch dieses aufgefundenes Werbe-Faltblatt mit derAufschrift"Bayer Milzbrand" löste umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen aus. (Foto: Benecke & KK 13/14 PP Köln)

Praktisch angemessene Umgangsweise mit dem möglicherweise ansteckenden Material

Wir versuchten unter anderem, die scheinbar recht verschiedenen Darstellungen deutscher und US-amerikanischer Stellen zum Eigenschutz und dem Schutz der Bevölkerung intelligent und angemessen umsetzbar zu machen. Medien wie der Spiegel hatten Äußerungen aus dem Robert-Koch-Institut stark verkürzt als: "Nicht berühren, nicht einatmen, nicht kosten" wiedergegeben. Das US-amerikanische Center for Disease Contral gab sich auf seiner Website ab dem 12. Oktober 2001 wesentlich nüchterner und riet offiziell:

• Ruhe bewahren

• Warum erscheint die Sendung verdächtig? Prominenter Empfänger? Kein Absender? Überfrankiert? Beschmiert (Werkstatt/Labor)?

• Beachte: Biowaffenfähige Milzbrand-Erreger müssen in stark pulverisielte Form gebracht werden, um viele Menschen am nicht sofort äußerlich erkennenbaren Lungenmilzbrand erkranken zu lassen. Es gibt aber kaum Firmen oder Forscher, die das de facto vermögen.

• Behältnisse mit möglichen Erregern in Pulverform nicht schütteln. Dafür sorgen, dass kein Durchzug (Innenräume) oder sonstige Verwirbelung (im Freien etwa durch Plastikplanen) entsteht.

• Umschläge o. ä. in (gegebenenfalls dicht schließende) durchsichtige Plastiktüten bringen, erst dann näher betrachten oder, falls notwendig, in der Tüte öffnen.


Diese realistischen Regeln konnten teils auch besorgten Bürgern nahegebracht werden, die nach Erhalt eines ihnen verdächtig erscheinenden Briefes den Polizeinotruf gewählt hatten.


Uns war bewusst, dass GummiHandschuhe, Schutzanzüge und gegebenenfalls auch Atemschutz vor Ort zwar sinnvolle Schutzmaßnahmen darstellen, um das Risiko von Hautkontakt und Einatmen des Erregers zu verringern, Sie können aber kein perfekter Schutz sein, weil die Sporen sich auch in Haaren, Falten usw. verfangen können. Aus kriminalbiologischer Sicht wurde daher vorgeschlagen, notfalls auch ohne erkannten Kontakt mit dem Erreger auf mögliche Krankheitserscheinungen zu achten und im Zweifel sofort einen Test in einem Krankenhaus durchführen zu lassen. Das ist sinnvoll, da dann in allen Fällen genügend Zeit bleibt, um die Krankheit dauerhaft und sicher auszuheilen. Für die Fundort-Beamten besteht unter diesen Bedingungen selbst bei Gegenwart des Erregers in der Luft und auch ohne Tragen von Vollschutz keine Lebensgefahr. Auch in den USA kam es nur dann zu Todesfällen, wenn die Krankheit nicht rechtzeitig erkannt wurde.


Außerdem wurden in der EK einige Handgriffe mikrobiologischen Arbeitens gemeinsam betrachtet, die wiederum sehr einfach klingen, aber wirkungsvoll sind:

• Beim Verbringen des untersuchten Objektes stets Packpapier (Einweg) unterlegen.

• Arbeitsflächen abschließend stets mit reichlich um etwa 1/4 mit Leitungswasser gestrecktem Brennspiritus abwischen.

• Beim Arbeiten vor allem die Hände schützen, gegebenenfalls mit doppelten Einweghandschuhen.


Wichtig für die Gefahrenabschätzung am Fundort war, dass Milzbrand eine leicht mit Antibiotika zu behandelnde Krankheit ist, die nicht im Sinne einer Seuche von Person zu Person ansteckend ist. Die Krankheit kündigt sich zudem durch erkältungsartige Zeichen (Ermattung, Fieber) an und kann innerhalb kurzer Zeit - beispielsweise in einer Universitätsklinik - diagnostiziert werden.


Milzbrand war im Übrigen früher eine Berufskrankheit (etwa bei Abdeckern). Auf der Haut (nicht aber im Körperinneren) konnte lange unbehandelter Milzbrand von selbst abheilen. Erst, wenn er durch eine Wunde von der Haut ins Körperinnere gelangte, wurde der Keim gegebenenfalls tödlich.


Biowaffenfähige Milzbrand-Stämme, die gegen heutige Antibiotika mehrfach unempfindlich sind, finden sich in der Natur praktisch nicht. Selbst mit großem Personalaufwand können sie in einem modernen Labor kaum und ganz sicher nicht in möglichen Wüsten-Labors hergestellt werden.


Abb. 3: Asservierung am Fundort in Köln (Foto: Jens Koch)

Kriminalistische Überlegungen

Aus kriminalistischer Sicht erschien es uns, dass mögliche Täter die nur begrenzt verfügbaren Milzbrand-Sporen mit sehr großem Aufwand hergestellt oder erworbenen haben müsste. Diese Person(en) würden, wenn sie terroristische Erfolgsabsichten hätten, das aus ihrer Sicht wertvolle Material eher nicht in auffallenden - erst recht nicht in markierten Briefen - versenden, sondern in unauffälligere Sendungen verstecken oder ganz anders verteilen.


Lebende Milzbrand-Kulturen lassen sich praktisch nicht sinnvoll als Biowaffe einsetzen, da sie schon durch den Transport mit der Post oder durch zufällige Lagerung der Sendung absterben können. Daher liegt vor allem die Verbreitung in der Luft als Sporen nahe. Sporen sind ein stabiles Ruhestadium von Milzbrand-Erregern (und anderen Bakterien). In diesem Zustand können sie Jahre ausharren, bis sie durch Feuchte wieder in aktives Leben übergehen.


Eine bereits erfolgte Verteilung von Milzbrandsporen durch die Luft würde allerdings nicht mehr in den Aufgabenbereich der EK fallen können. Im Grunde gilt das auch schon für Briefe, die durch die Post befördert wurden, denn in den USA wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit Sporen innerhalb der Brief-Sortiermaschinen verteilt.


Der in die USA übergelaufene Leiter des russischen Biowaffenprogramms "Ken Alibek" berichtet andererseits, dass auch mit viel Erfahrung kaum Menschen durch das Verstreuen der Sporen in der Luft anzustecken sind.


Milzbranderreger galten lange als besonders gefährliche Biowaffe, weil Experimente damit auf einer Insel durchgeführt worden waren, die dann gesperrt wurde. Das machte einen nachdrücklichen Eindruck auf die Öffentlichkeit.


Der Leiter des damals trotz internationalen Verbots laufenden sowjetischen/russischen Biowaffenprogramms hatte, nachdem er in den 1990er Jahren in die USA übergelaufen war, in einem Buch geschildert, dass es nur unter erheblichem biotechnologischem Aufwand gelang, mit biologischen Waffen wie Anthrax-Sporen eine große Anzahl Lebewesen zu infizieren (die Versuche wurden mit Affen durchgeführt). Gewöhnliche Milzbrand-Keime, auch in Sporen-Form, scheinen nicht ohne weiteres zur Massen-Ansteckung von Menschen durch Auspusten in die Atemluft (etwa von einem höheren Haus aus) geeignet zu sein. Die biologischen Gründe dafür sind nicht bekannt.2


Beispielsweise kam es im März 1979 in Swerdlowsk zu einem mehrere Stunden andauernden Austritt von Milzbrandsporen aus einer Biowaffenfabrik. Zwar starben innerhalb einer Woche alle Arbeiter einer Fabrik auf der anderen Straßenseite, wohin der Wind wehte. Diese Arbeiter starben aber nur, weil sie eine sehr hohe Menge der Keime einatmeten und nicht behandelt wurden, da das erstens politisch nicht gewünscht war (Vertuschung wegen internationalem Biowaffenverbot) und der Unfall zweitens erst sehr spät bemerkt wurde. Insofern liegt hier keine Ähnlichkeit mit dem Szenario "Brief im Supermarkt/unter dem Scheibenwischer/auf der Straße" vor.


Die Ansteckungszeit für einen der Arbeiter betrug offenbar nur einen Tag, im übrigen wurde die normale Inkubationszeit von drei bis vier Tagen beobachtet.


Die in Swerdlowsk erwiesenermaßen nach außen verwehten Keime infizierten außer den genannten Arbeitern in der Nachbarschaft nur einige Dutzend Menschen (!), darunter vor allem Männer (also erstaunlicherweise nicht Frauen und Kinder. Vermutlich lag das daran, dass es ein Freitag Abend war, an dem die Männer Kneipenumzüge veranstalteten. Es ist aber auch schon früher beobachtet worden, dass Männer zehnmaJ häufiger erkranken als Frauen, eventuell wegen Berufsausübung').


Die in den USA deutlich erhöhte Sicherheitsstufe (Abb. 5) beim Fund möglicher Antrax-Sendungen erklärte sich nur aus kriminalistischen Gründen (Zielland der Terroristen), aber nicht, weil dort andere biologische Überlegungen gemacht wurden. Es war aber wesentlich wahrscheinlicher, dort wirkliche Milzbrand-Erreger anzutreffen. In den USA gibt es nach Angaben des FBI auch mehrere tausend Firmen, die mit Milzbrandsporen arbeiten4 Diese sind allerdings nicht unbedingt "biowaffenfähig", das heißt gut lagerbar, gut verteilbar und gegen Antibiotika unempfindlich.


Abb. 4: Zeitungsauschnitt: Unzufriedenheit der Kölner Bürger wegen als zu niedrig empfundener Strafe gegen die Leger des ersten "Milzbrand"-Umschlages (in alkoholisiertem Zustand als Scherz) aus der Rheinischen Boulevardzeitung Express.

Behördliche Zusammenarbeit bei "Milzbrand"-Meldungen

Nach diesem Einblick zurück zur Kölner EK. Die Problematik insgesamt sowie der hohe Kräfteansatz der Feuerwehr bei jedem einzelnen Einsatz führte zu einer Absprache der Polizeiführung mit den anderen betroffenen Behörden und Institutionen. Dazu gehörte das Gesundheitsamt der Stadt Köln, die Berufsfeuerwehr Köln und das Mikrobiologische Institut der Universität Köln. Dabei wurde nachfolgend aufgeführte Verfahrensweise festgelegt:

• Erstmaßnahmen durch die eingesetzten Einsatzmittel (Streifenwagen), Absperrung im Radius von 25 m, Anforderung derEK.

• Gemeinsame Gefahrenbeurteilung vor Ort durch die Feuerwehr (Messleitwagen) und das Tatortteam der EK. Kategorisierung bzw. Prioritätenfestlegung laut Schema vor Ort.

• Erkenntnisgewinnung durch TatortArbeit (soweit möglich), anschließende Bergung des Gegenstandes durch die Feuerwehr und Transport durch diese.

• Untersuchung im Mikrobiologischen Institut der Universität Köln.

• Meldewege (auch Benachrichtigung der Einsatzkräfte über das Untersuchungsergebnis, Absetzen von WE-Meldungen, etc.).

• Nach Freigabe des Gegenstandes erfolgten die üblichen kriminaltechnischen Untersuchungen.

• Weitere Ermittlungen durch die EK. Nach dem o. a. Schema wurden ab sofort die Einsätze gefahren. Die Zusammenarbeit zwischen der Feuerwehr und der Polizei hatte sich innerhalb kürzester Zeit eingespielt.


Das Mikrobiologische Institut der Universität Köln erhielt zu dieser Zeit Proben von milzbrandverdächtigen Gegenständen aus fast ganz Nordrhein-Westfalen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten aufgrund des hohen Probenaufkommens erfolgte eine sofortige Bearbeitung aller eingereichten Proben mit einem Ergebnis nach spätestens 48 Stunden. Hier leistete das Institut mit zusätzlich abgestelltem Personal sehr gute Arbeit.


Problematischer war hier die Zusammenarbeit mit der originär zuständigen Behörde, dem Gesundheitsamt der Stadt Köln. Eine Erreichbarkeit der zuständigen Ärzte bei akuten Einsatzlagen war nicht gegeben. Weiterhin richtete die Behörde keinen Bereitschaftsdienst ein und war weder an den Wochenenden noch an den Feiertagen erreichbar. Erst nach massiver Einflussnahme durch Polizei und Feuerwehr wurde nach drei Wochen ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, der per Handy abrufbar war.


Polizei intern gab es Probleme bei der Ergänzung vorhandener bzw. zusätzlicher Beschaffung von Schutzbekleidung. Dies wurde zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass eine Tatortarbeit vor der Mitteilung des Untersuchungsergebnisses nicht nötig sei. Schriftverkehr diesbezüglich lief über zwei Wochen bis in das Innenministerium.


Abb. 5: Asservierungsmaßnahmen beim FB!. (Dort kriminalistisch angemessen.) (Foto: FBI)

Drei beispielhafte Lagen

In den sechs Wochen von Oktober bis November 2001, in denen die meisten Einsätze anfielen, wurden 85 Milzbrandverdachtsfälle durch die EK bearbeitet, 29 Ermittlungsverfahren gern. § 126 StGB eingeleitet und sieben Tatverdächtige ermittelt.


Die tatsächliche Zahl der in diesem Zusammenhang gefahrenen Einsätze liegt jedoch deutlich höher. Dies erklärt sich dadurch, dass in vielen Fällen durch das Tatortteam oder die eingesetzten Beamten der Schutzbereiche ein Milzbrandhintergrund schon im ersten Ansatz ausgeschlossen werden konnte.


Beispielhaft werden im folgenden einige Fälle geschildert:

1) Am 17. Oktober 2001 wurde beim Verladen von Gepäckstücken in ein Flugzeug am Köln/Bonner Flughafen das Austreten von weißem Pulver aus einem Koffer bemerkt. Der Koffer gehörte einem kuwaitischen Staatsangehörigen. Dieser Hintergrund reichte aus, um den Kuwaiti dem Polizeipräsidium zuzuführen. Eine Probe des Pulvers wurde dem Mikrobiologischen Institut Köln zur Untersuchung überbracht. Die Maschine konnte dann mit erheblicher Verspätung, nach Freigabe durch das Gesundheitsamt, abfliegen. In diesem Fall entstanden Einsatzkosten in Höhe von 23000 Euro.


2) In einer Kölner Chemie-Firma beging ein Arbeiter einen "schlechten Scherz", indem er seinem Kollegen im Umkleideraum einen Brief mit der Aufschrift "Milzbrand" und einem weißen Pulver als Inhalt in die Spindtür steckte. Der betroffene Arbeitskollege erschrak sich, der Täter trat hinzu und beide lachten über den Scherz. Der Brief blieb liegen und wurde einige Zeit später durch einen unbeteiligten Dritten gefunden, der die Polizei informierte. Gegen die beiden erstgenannten wurde ein Verfahren gern. § 126 StGB eingeleitet.

Das Strafverfahren wurde durch die Justizbehörden eingestellt und der Vorfall als "Scherz" gewertet, obwohl eine Außenwirkung vorhanden war.


3) Am 31. Oktober 200I, dem Halloween-Abend, verstreute eine Gruppe Kinder und Jugendlicher als "Halloween-Scherz" zwei Tüten Mehl im Bereich von drei Strassenzügen (ca. 600 m). Besorgte Anwohner riefen am Morgen des 1. November 2001 (Wochenfeiertag: Allerheiligen) Feuerwehr und Polizei. Aufgrund der großflächigen "Kontamination" wurde durch die Feuerwehr der Einsatz "Biofund 3" ausgelöst und fast alle in Dienst befindlichen Einsatzmittel der Feuerwehr wurden an den Einsatzort beordert. Durch den Einsatzleiter der Polizei wurde eine BA05 ausgelöst und eine Kräftesammelstelle eingerichtet. Durch das Tatort-Team der EK und dem Messleitwagen der BF Köln wurde das weiße Pulver als Mehl eingestuft. Eine Klarheit darüber gab es jedoch nicht und es wurden Proben gezogen. Durch vor Ort eingeleitete Ermittlungen konnte die Gruppe Kinder ermittelt und ausfindig gemacht werden. Durch ihre Aussagen konnte dieser Einsatz abgebrochen werden.


Zu diesem Zeitpunkt hatte die Feuerwehr bereits ca. 100 m einer Straße desinfiziert.

Lehren

Als Resumee aus sechs Wochen hektischer Arbeit mit bis zu 35 Überstunden pro Woche ergibt sich, dass die angestrebte polizeiliche Strategie nicht aufging:

• Es erfolgten keine zeitnahen Verurteilungen und somit keine Abschreckung; auch das Strafmaß war dazu nicht geeignet (Geldstrafen, Abb. 4).

• Das Kernproblem waren nicht so sehr die Trittbrettfahrer, wie die Gesamtzahl der Fälle zeigt, sondern die ausgesprochene Hysterie im Umgang mit der Sache. Die überschnelle Reaktion von Fernsehsendern und -teams in der Medienstadt Köln sowie die außerordentlich breite Berichterstattung In Zeitungen trug dazu bei.


Das Phänomen "Milzbrand" verschwand nach Einstellung bzw. Abklingen der Berichterstattung wie es gekommen war. Bleibt nur noch der Blick in die Zukunft:

• Die Angst hat sich gelegt, aber wie lange?

• Wer sagt uns, dass nicht eines Tages doch der Ernstfall eintritt?


Anmerkungen:
1 Ausführlicher Bericht incl. Details zu erstem Milzbrand-Brief (an Johanna Huden, Mitarbeiterin der New York Times) und Verteilungsmuster der Sporen, auch in den Post-Anlagen: Lipton E, Johnson K: Tracking bioterror's tangled course. New York Times, 26. Dez. 2001.

2 Vgl. Ken Alibek: Biohazard. The Chilling True Story of thc Largest Biological Weapons Program in the World - Told from the Inside by the Man Who Ran It, Random House, New York, 1999.

3 Vgl. Schneeweiß: Spezielle Mikrobiologie, Berlin 1968. S. 131.

4 Lt. Michael Rolince auf BKA-Herbsttagung 2002.

5 BAD = Besondere Aufbauorganisation.


Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.


Lesetipps


Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.