2001 03 Die Zeit: Kirkwood - Zeit unseres Lebens
Quelle: Die Zeit, Ausgabe 11/2001 vom 8. März 2001, Seite 60
Tom Kirkwood
Zeit unseres Lebens (Buchkritik)
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VON MARK BENECKE
Tom Kirkwood ist ein angesehener Wissenschaftler, der seit den siebziger Jahren versucht, das biologische Altern mehrzelliger Wesen mit der Evolutionstheorie in Einklang zu bringen. Sein neues Buch verliert sich leider in einem Meer aus Plaudereien, Platitüden und windschiefen Beispielen.
Um zu illustrieren, dass Sex einen Schutz gegen Mutationen darstellen kann, bemüht er das Bild von 140 schlafenden Rittern in einer geheimen Höhle seines Wohnortes, und jeder Ritter hat eine milchweiße Stute an seiner Seite. Neueres zum Altern entwicklungsbiologischer Modellorganismen bleibt komplett außen vor, während die Anekdoten, die sich um die Beforschung des Alterns ranken, anderswo bereits ausführlicher und spannender abgehandelt sind. Abgesehen von seinen eigenen Forschungen, betupft Kirkwood immer nur die Oberfläche, vergisst aber mehrfach, Begriffe wie den des Retrovirus oder der populationsmathematischen Einheit ePD zu erklären. Immer wieder tauchen unerklärte Textirrlichter auf:
Jede Lesefreude, die das Buch hart gesottenen Interessenten bieten könnte, ist durch die Übersetzung verstellt. Ungenaue Formulierungen ziehen einen milchigen Schleier des Halbverstehens über den Text: Dass eine Adaptation in Form von Anpassungen ebenso gut eine Anpassung in Form von Adaptationen sein kann, ist immerhin komisch. Schlimm wird es, wenn aus dem Halsansatz eine Nackenwurzel oder aus einem Kieferknochen das Zahnbein wird.
Nicht einmal die Ankündigung auf dem Buchtitel - zu klären, warum Altern biologisch unnötig ist - wird eingelöst. Dieser von Kirkwood ohnehin bloß theoretisch-mathematisch gemeinte Gedanke taucht im Buch derart verdünnt auf, dass er nicht mehr erkennbar ist.
MARK BENECKE
Tom Kirkwood:
Zeit unseres Lebens. Warum Altern biologisch unnötig ist.
Aufbau-Verlag, Berlin 2000; 320 S.
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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