1999 02 Koelner Universitaet Journal: Einsatz in Manhattan
Quelle: Kölner Universität Journal, 29. Jahrgang (1999), Seiten 55 bis 57
Einsatz in Manhattan
Kölner Biologe forscht in New York
[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]
[Ein kriminalbiologischer Besuch in Manhattan]
VON PETER HUMMEL
Mark Benecke, zur Zeit als Biologe im Zoologischen Institut tätig, arbeitete bis vor kurzem in New York. Sein Spezialgebiet: Maden auf Leichen. Der 28jährige wechselte 1998 in die Gerichtsmedizin nach New York, wo das führende Institut der Welt aufgebaut wird. Das nachfolgende Porträt über einen Experten für "Mysteriöses und Ekliges" schrieb Peter Hummel für das Weltbild-Magazin.
Es wäre unfair, am Beginn einer Geschichte über Mark Benecke nicht darauf hinzuweisen, daß es eklig werden kann. Ausgesprochen eklig sogar. Zumindest für unsereins. Zwei Tage mit ihm, und man kann sich nicht vorstellen, jemals wieder Fleisch zu essen oder keinen Panikanfall zu bekommen, wenn man barfuß auf einen Regenwurm tritt. "Was ist schon Ekel?" sagt er dagegen. "Sind Maden etwa eklig?"
Finden wir schon. "Och nöö, das sind doch niedliche Tiere", meint er und grinst. Meine Güte! "Hundert fette Maden auf einer Faulleiche, was will man mehr?" Himmel! Dann erklärt er, daß Maden doch nichts anderes seien als Fliegen, die noch nicht geschlüpft sind. Naja, mag schon sein.
Unikum in den USA
Es ist vielleicht besser, man nähert sich diesem Menschen und seiner Tätigkeit auf wissenschaftlicher Ebene. Und erstmal nicht an seinem Arbeitsplatz, sondern in einem Cafe in New York. Mark Benecke ist 28, Biologe und promovierte am Institut für Rechtsmedizin der Kölner Universität zum Doktor rerum medicinalium. Geboren in Bayern, aufgewachsen und studiert in Köln, heute Mitarbeiter des Rechtsmedizinischen Instituts der Stadt New York.
New York deshalb, weil New York ihm vorletztes Jahr anbot, in der Abteilung "Forensische Biologie" mitzuarbeiten. Nicht, daß es in New York zu wenig Kriminalbiologen gäbe, es gibt nur keine solchen wie Mark Benecke. Solche wie Mark Benecke findet man sogar in den ganzen USA nicht, denn Mark Benecke ist ein Unikum. Möglicherweise ist er sogar ein Genie. Aber das will er nicht so gern hören. Lieber hat er es, wenn man einfach sagt, er sei "jemand, der was kann, was andere nicht können".
Er trinkt Kaffee mit Milch und tunkt Kekse ein. Wie um alles in der Welt kann ein Mensch mit Genuß schlabbrige Kekse essen, wenn er noch zwei Stunden zuvor in der Nase einer zwei Wochen alten Leiche eines Junkies nach einer Made gepopelt hat? Aber lassen wir das. Jedenfalls ist Mark Benecke ein weltweit gefragter Experte für mysteriöse Todesfälle. Sein Spezialgebiet ist es, die Liegedauer einer Leiche zu ermitteln, indem er den Zustand und das Stadium der Maden untersucht, die sich auf ihr niedergelassen haben.
Für Kriminologen eine höchst aufschlußreiche Information, und so mancher Verbrecher hat es Mark Benecke zu verdanken, daß er sein Dasein hinter Gittern fristet. Ihm, seiner Spitzfindigkeit und den Maden.
Die Leiche hatte Besuch
Erst am Vortag hat sich so ein Fall ereignet: Im Stadtteil Harlem haben die Cops eine halbverweste Frauenleiche gefunden. Offensichtlich ein Mord. "Wann waren Sie zuletzt in dieser Wohnung?", fragen die Polizisten den Lebensgefährten der Toten. "Vor einem Monat", antwortet er. "Hat sonst jemand einen Schlüssel?" - "Nein." - Mark Benecke wird gerufen. In einem Reagenzglas stellt er sechs Maden sicher.
Später, in seinem Labor, findet er heraus, daß die Eier dieser Maden vor exakt zwölf Tagen gelegt wurden. Die Leiche dagegen ist vier Wochen alt. "Jemand muß vor zwölf Tagen die Türe der Wohnung geöffnet haben", schreibt Mark Benecke in seinen Bericht. "So gelangte eine Fliege in das Zimmer und legte ihre Eier auf der Leiche ab. Vorher war das Zimmer fliegenfrei." An der Sache ist also etwas faul. Die Leiche hatte Besuch. Der Lebensgefährte kommt in Untersuchungshaft.
Es war kurz vor zwei Uhr nachts, als Benecke diesen Fall gelöst hatte. Er, ganz allein im sechsten Stock des rechtsmedizinischen Gebäudes in der achten Straße. Mark Benecke hält sich nie an die normalen Bürozeiten, und daß er 24 Stunden am Tag Zutritt zu seinem Labor und zu seinen Fällen hat, ist Bestandteil seines Vertrages. "Kein überzeugter Wissenschaftler schaut bei der Arbeit auf die Uhr", sagt er, "das wäre ja so, als würde man bei einem Krimi an der spannendsten Stelle abschalten."
Zwei Uhr nachts, findet er, sei eine durchaus angenehme Zeit zum Arbeiten. Endlich ist Ruhe. Nur er ist da, die Toten, und das einzige Licht ist das an seinem Mikroskop. Manchmal hört man das blecherne Scheppern einer Metalitüre ein Stockwerk tiefer, dann nämlich, wenn eine neue Leiche gebracht wird.
"Man gewöhnt sich daran", meint er. "Man gewöhnt sich an diesen Ort, an die Arbeit, an den Geruch". Angst kennt Mark Benecke offenbar genauso wenig wie Ekel. Ganz im Gegenteil: Je ekliger ein Fall sei, desto interessanter sei er. Sicher, am Anfang, als er noch in Köln war, habe es durchaus Nächte gegeben, in denen er schlecht schlief, in denen er Alpträume hatte und in denen er sich wünschte, irgendwann ein ganz normaler Biologe zu sein.
Aber heute, meint er, sei das vorbei, und überhaupt sei doch das Widerlichste auf der Welt ein Leberwurstbrot. Mark Benecke haßt Leberwurstbrote. Und Leute, die im Restaurant Calamari essen, sind ihm in gewisser Weise auch suspekt. Während des Studiums hat er ein Vierteljahr über Tintenfische geforscht und herausgefunden, daß diese Tiere durchaus in der Lage sind, zärtlich miteinander umzugehen oder auch beleidigt zu sein. "Wie man die nur so lieblos aufessen kann?" fragt sich der Biologe.
Andererseits hat er keine Probleme, auch wenn mehrere halbverweste Leichen im Nachbarraum liegen, in ein saftiges Sandwich zu beißen. "Wir Menschen müssen lernen, mit dem Tod umzugehen", sagt er. "Wir wissen ganz genau, daß das Leben aus Kommen und Gehen besteht. Eine Leiche ist doch keine Person mehr, sondern nur seelenlose Materie. Darüber will niemand reden." Vermutlich ist es doppelt schwer, mit Mark Benecke über den Tod zu reden, weil Tote für ihn etwas anderes sind als für gewöhnliche Menschen: ein faszinierendes Biotop, Indizienmaterial, Symbol für den Kreislauf des Lebens.
Einem Mark Benecke ist es egal, ob jemand seinetwegen verurteilt wird. Er möchte nur, daß seine Arbeit und sein Wissen anerkannt werden, daß man ihm zuhört, daß man ihn ernst nimmt. Mit dem amerikanischen Rechtssystem hat er da so seine Probleme. "Das Theater mit den Geschworenen ist doch eine Show", sagt er, "wissenschaftlich erarbeitete Beweise zählen manchmal kaum." Einmal habe ihn ein Anwalt gefragt, was gewesen wäre, wenn über die Maden ein Eimer Salzwasser gegossen worden wäre. "Keine Ahnung", hat er ihm geantwortet. "Ihre Frage ist hypothetisch."
Bekannt geworden durch Geyer-Prozeß
Sein größtes Publikum hatte er 1997. Benecke war kaum in New York angekommen, als in Braunschweig der Prozeß gegen den Pastor Klaus Geyer lief. Richter und Gutachter gingen damals der alles entscheidenden Frage nach, ob die Frau des Seelsorgers am Freitag oder Samstag erschlagen worden war.
Als sie nicht mehr weiterwußten, schickte das Auswärtige Amt eine Maschine der Luftwaffe nach New York. An Bord: ein Kurier mit einem Reagenzglas voller Maden. Mark Benecke machte sich an die Arbeit. Er trennte die Mundwerkzeuge aus den Tieren, um den Typ zu bestimmen, untersuchte ihren Mageninhalt, bestimmte ihr exaktes Alter. Auch da arbeitete er meistens nachts, weil es dann in Deutschland Tag war und es mit den dortigen Behörden ständig Dinge abzuklären gab: Wo wurde die Leiche gefunden? Wie lag sie? Wo wurden die Maden sichergestellt? Wer hat Wetteraufzeichnungen von der FundsteIle?
Als für Mark Benecke der Fall klar war, flog er nach Deutschland und sagte aus: Die Frau starb am Freitag. Wenige Wochen später wurde Pastor Geyer zu acht Jahren Haft verurteilt. Eher zufällig hat Mark Benecke davon erfahren, denn er schaut nie fern, hört nie Radio und liest nie Zeitungen. Wenn er sich einmal ein paar Stunden Freizeit gönnt, dann sitzt er auf den Stufen vor seiner Wohnung im East Village, beobachtet das Treiben auf der Straße und sieht, wie in einem Piercingstudio gegenüber die Leute kommen und gehen.
Viele kommen ganz normal und gehen zigmal durchlöchert wieder nach Hause. "Manche lassen sich sogar mit einem Skalpell oder Laser die Zunge spalten", erzählt Benecke, und zum erstenmal hat man das Gefühl, daß ein Hauch von Abscheu über sein Gesicht huscht. Freunde hat er nicht viele in New York, höchstens ein paar Bekannte. "Forscher können ziemlich gut mit sich selber umgehen", meint er. Benecke hat auch keine Hobbys, jedenfalls keine, die andere Leute auch haben. Denken, sagt er, mache ihm großen Spaß.
Traum vom ewigen Leben
Manchmal, wenn er wieder einmal auf seinen Stufen sitzt, denkt er über das ewige Leben nach, darüber, ob der Mensch unsterblich sein kann, ob man ihn klonen darf und warum die Natur den Tod erfand. "Das ist doch viel interessanter als Tennisspielen gehen oder fernsehen", sagt er. So interessant, daß er seine Denkprozesse inzwischen in einem Buch veröffentlicht hat (Mark Benecke: Der Traum vom ewigen Leben, Kindler). "Das Leben ist ein einziger Selbstzweck - aber der wundervollste, den wir kennen", schreibt er darin. "Sein Programm lautet Anpassung, Ausdehnung und Vervielfältigung."
In der Welt des Mark Benecke sind die Verantwortlichen in diesem Prozeß Insekten. Insekten ziehen Nutzen aus dem Tod, Insekten schaffen neues Leben, Insekten sind seine beruflichen Assistenten. "Sie helfen mir, ohne daß ich sie bitten muß", meint er, "das sind doch wundervolle Tiere." Wenn er im Labor eine Made töten muß, dann macht er das mit Alkohol, weil das eine schnelle und schmerzfreie Methode sei. Niemals käme er auf die Idee, eine Fliege totzuschlagen, selbst wenn sie ihn noch so nervt.
Mit großem Dank an Peter Hummel und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Lesetipps
- The hunt for Hitler's teeth ENGLISH TEXT
- Continúan los asesinatos en Ciudad Juárez SPANISH TEXT