1998 Die Zeit: Hoelle nach Herzenslust

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Quelle: Die Zeit, Ausgabe 33/1998, Seite 29

Hölle nach Herzenslust (Buchkritik)

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VON MARK BENECKE


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Der Autor von "Hot Zone" heizt im neuen Roman mit teuflischer Präzision/


Viele Forscher halten Wissenschaftsromane für ähnlich erbaulich wie einen großen Schluck saurer Milch. Entweder strotzen die Geschichten vor Ungenauigkeiten, oder sie sind so weit in die Zukunft-f>rojizie.l'tr-daß-..die-besGhrieb~eA-teclul· schen Aspekte< jenseits.des Vorstellbaren liegen. Andererseits finde~ Durchschnittsleser wissenschaftliche Sachbücher meist so dröge wie die Meinungen und Messungen der kauzigen Schlaumeier in ihren Laborkitteln, Cordhosen und Karohemden. Denn wie unterhaltsam ist schon ein Buch über Quantendynamik und westliche Philosophie im Vergleich zum handfesten Spionagethriller?


Der Exforscher Richard Preston, Autor des ganz und gar wahren Sachbuches "Hot Zone", das den haarscharf und rein zuf.jJlig verhinderten Ausbruch der fürchterlichen Ebola-S~uche schildert, hat für seinen neuen Report den Schritt zum Roman gewagt und entfesselt darin nach Herzenslust die Kräfte der Hölle. Ein gentechnisch auf Menschen zurechtgestrickter Virus aus Motten meuchelt mitten in Manhattan die siebzehnjährige Kate. Das letzte, was die Schülerin (leider nur in der englischen Originalausgabe) kristallklar sagen kann, ist "oh", während sie mit durchgebogenem Rückgrat, selbst abgebissenen Lippen und laufender Nase auf dem Boden der Toilette neben dem Kunstklassenzimmer im eigenen Blut und Urin stirbt. Wenig später ist auch Kates Kunstlehrer tot. Eine Mitarbeiterin des Center for Disease Control aus Atlanta und der ChiefMedical Examiner von New York City sollen den rätselhaften Fall klären. Als einer der obduzierenden Rechtsmediziner mit Schnupfennase und goldgeränderter Iris den Sektionsgehilfen köpft und sich dann die Haut vom Schädel reißt, wird es echt brenzlig. Die Toten landen in dreifachen Sicherheitshüllen im Tiefkühlfach.


Wer Preston bis hierhin folgen kann, hat seine Nerven bereits für das Kommende gestählt. Denn nun fahnden neben dem FBI, einem Heer von Polizisten, Feuerwehrleuten und Ärzten, golfkriegserprobten Fachleuten für.ßiowaffen auch eine Kunsthistorikerin und ein Botanik~r nach de~ Ursprungd; Virus - bis zum explosiven Höhepunkt der Detektivgeschichte.


Der nach klassischen Horror- und Krimigrundzügen gebaute "Cobra Event" hinterläßt trotz großen Lesevergnügens einen unangenehmen Nachgeschmack. Denn die ihm zugrundeliegende Idee entspricht der biologischen Kriegführung und ist zum Gro~teil wahr. Sie beginnt in einem von Indianern belagerten Fort und endet in einer katastrophalen Anzahl politischer Lügen. "Schicken Sie die Pocken unter die abscheulichen Indianerstämme", hatte Sir ]effrey Amherst, der britische Oberbefehlshaber über Nordamerika, im Sommer 1763 an das von der Versorgung abgeschnittene Fort Pitt geschrieben.


Von dort ließ Colonel Henry Bouquet Decken seiner pockenkranken Soldaten zu den vollkommen unimmunisierten Angreifern schmuggeln. Nach den seit Jahrhunderten bekannten Brunnenvergiftungen mit Er,reg(}f.n-alleF-An-hal'ten AmheFsHm<:1 Bouquet eine neue Variante biologischer Kriegführung gefunden.


Nachdem deutsche und französische Truppen im Ersten Weltkrieg Cholera, Pest und Milzbrand über ihre Feinde gestreut hatten, trat 1925 das Genfer Protokoll in Kraft, das Giftgas und Biokampfstoffe als Kriegswaffen verbot. Erst Jahrzehnte später unterzeichneten auch die letzten Weltmächte den Vertrag. So starben in den dreißiger Jahren Zehntausende Versuchspersonen bei Tests für kriegsfähige Erreger. Besonders berüchtigt war die chinesische Kompanie Ei1644, die auf diese Weise etwa 1500 Gefangene tötete. Und noch 1979 kostete ein Unfall mit Milzbranderregern aus einer Biowaffenfabrik im damaligen Swerdlowsk (Rußland) knapp hundert Anwohner das Leben. In den USA wurde ungeniert mit dem relativ harmlosen Blutströpfchenbakterium Serratia marceseens experimentiert, das als Ursache der scheinbar Blut weinenden Marienstatuen bekannt ist: Man entließ diese Bakterien in die U-Bahn von Manhattan und fand sie erwartungsgemäß wenige Tage später in kilometerweit entfernten NewYorker U-Bahn-Stationen.


Völlig ausgeschlossen sind solche Vorkommnisse trotz der Genfer Konvention nicht. In mindestens tausend Labors weltweit könnten heute perfekte Biowaffen gebaut werden, schätzt Raymond Zilinskas vom Maryland Institute for Biotechnology in Catonsville, der vor wenigen Jahren einen Biowaffenkongreß für . die New York Academy ofSciences leitete. Perfekt ist ein Erreger dann, wenn er so verändert wurde, daß er im Kriegsfall praktisch nicht bekämpfbar ist. Daß die Biowaffenkongreßbeiträge als Band 666 der Akademieberichte erschienen, ist ein treffender Zufall- 666 gilt als biblische Zahl des Teufels.


Obwohl der Roman "Cobra Event" in den USA kein Bestseller ist, hat er für Wirbel gesorgt. Denn um Prestons teilweise gespenstisch genaue Recherche kommen nach einigen zusätzlichen Presseberichten verantwortliche Militärs und Wissenschaftler kaum mehr herum. Von der schriftlichen Aufforderung "Senda salami toJour boy in the arm/,im schrammeligen Restaurant "Katz Delicatessen" aufder Manhattaner HousicinStreet oishin zum "Bone Shop" in SoHo und den Details der mittelhirnzerstörenden Wirkung des (allerdings so noch nicht existenten) Cobravirus stimmt jedes Detail des Romans. Alle gentechnischen Methoden, die biologischen Grundlagen und nahezu alle Schauplätze im "Cobra Event" sind wahr, nah und aktuell. Einzig das blitzschnell den genetischen Code entziffernde Gerät Felix ist Zukunftsmusik- doch diese Erfindung zugunsten der Spannung gibt Preston gleich in der Einleitung zu. Das zweite Gerät der Ermittler, der Handbiosensor Ping, funktioniert schon in der ein oder anderen Form, ähnlich wie ein Schwangerschaftstest aus der Apotheke.


Was der Ausnahmeforscher Isaac Asimov für die Science-fiction-Literatur vollbracht hat, ist Preston mit dem "Cobra Event" für das Horrorgenre gelungen. Zwar bringt das Buch Insider nicht um den Schlaf, aber es wird vielen einige atemlose Stunden bereiten.


Mark Beneeke arbeitet in New York im Office of Chief Medical Examiner


Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.


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Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.