1996 Kriminalistik: Die DNA-Beweise im Fall Simpson: Difference between revisions

From Mark Benecke Forensic Wiki
Jump to navigation Jump to search
No edit summary
No edit summary
 
(31 intermediate revisions by 2 users not shown)
Line 1: Line 1:
[[Image:krimi_logo.gif|thumb]]<HTML>
[[Image:krimi_logo.gif|thumb|150px|right]]
Quelle: Kriminalistik 50, Seiten 481-483 (1996)</p>
Quelle: Kriminalistik, Heft 50/1996, Seiten 481 bis 483<br>
<HEAD><h1><font color=orange>Die DNA-Beweise im Fall Simpson</font></h1></HEAD>
(DNA evidence in the O.J.Simpson trial)<br><br>
<b>Von <a href="http://benecke.com/">Mark Benecke</a></b><br>
<br>Aus: <i>Kriminalistik</i> 50, pp. 481-483, 1996.<br>
<br>


</html>[MBs [[All Mark Benecke Publications|Publikationen]]] <html><br><br>
=<font color=orange>Die DNA-Beweise im Fall Simpson</font>=
==<font color=orange>(DNA evidence in the O. J. Simpson trial)</font>==


Im Strafproze&szlig; gegen den Ex-Footballspieler O.J. Simpson, der mit einem Freispruch endete, zeigte sich erneut die enorme Leistungsf&auml;higkeit der DNA-Typisierung. Dennoch f&uuml;hrten die Schw&auml;chen und Eigenheiten der amerikanischen Rechtsprechung dazu, da&szlig; die DNA-Beweise letztlich wenig Gewicht erhielten. Weil der Fall Simpson derjenige ist, auf den wir im Moment am h&auml;ufigsten angesprochen werden, soll er an dieser Stelle einmal im Detail betrachtet werden. Zugleich soll eine &Uuml;bersicht &uuml;ber den heutigen Stand der Individualidentifikation mittels DNA-Analyse gegeben werden, die zeigt, da&szlig; Verl&auml;&szlig;lichkeit und Geschwindigkeit der Diagnosestellung weiter zunehmen.<br>
[Weitere [[All Mark Benecke Publications|Artikel von MB]]] [Artikel [http://wiki2.benecke.com/index.php?title=Media#Interviews_.26_Articles <font color=lightgrey>über MB</font>]]<br>


<p align="justify"><br>
'''VON MARK BENECKE'''<br>
<b>Der Proze&szlig;<br></b>
Am 12. Juni 1994 wurde O.J. Simpsons geschiedene Frau Nicole Brown und deren Freund Ron Goldman zwischen
22 und 22.20 Uhr bestialisch ermordet; die Leichen lagen im Eingangsberich des Hauses von Nicole Brown
Simpson. Lebende Tatzeugen gab es nicht. O.J. Simpson, der unter anderem wegen einer oft als Flucht interpretierten
Autofahrt in Mordverdacht geraten war, verweigerte die Aussage. <br>


Anklage und Verteidigung bildeten von vorneherein je ein gemischtes Team aus schwarzen und wei&szlig;en Anw&auml;lten.
<html><a href="http://wiki2.benecke.com/images/d/dc/1996_07_Kriminalistik_Die_DNA_Beweise_im_Fall_O_J_Simpson_Mark_Benecke_complete.pdf" target="_blank"><img src="http://wiki2.benecke.com/images/5/5e/1996_07_Kriminalistik_Die_DNA_Beweise_im_Fall_O_J_Simpson_Mark_Benecke_preview.jpg" border="0" height="150" align="middle"><figcaption>Klick für's PDF!</figcaption></a></html>  
Damit wurde der in den Vereinigten Staaten bis zum Exze&szlig; betriebenen Diskussion um politische correctness (PC)
vorgebeugt bzw. gen&uuml;ge getan. Die Eltern des Richters Lance Ito stammen aus Ostasien, was diesen &uuml;ber den
m&ouml;glichen Vorwurf der Ausl&auml;nderfeindlichkeit heraushob. Andere Proze&szlig;teilnehmer hatten es da schwerer
- so mu&szlig;ten sich Polizeibeamte im Gerichtssaal fragen lassen, ob sie jemals das abwertende Wort ´niggerª gebraucht
h&auml;tten. Der daraus abgeleitete Rassismusvorwurf kann einen Zeugen - vollkommen unabh&auml;ngig von seiner
Sachkompetenz - vor der Jury bereits unglaubw&uuml;rdig machen. Auch die an den Nobelpreistr&auml;ger und
Sachverst&auml;ndigen Kary Mullis gerichtete Frage, ob er l&auml;ngere Zeit LSD genommen habe (was dieser freim&uuml;tig
zugesteht), zielte in diese Richtung. Man sieht, wie sehr die Grenze zwischen Tatsachen, Vermutungen und irrelevantem
Gerede bewu&szlig;t verwischt wurde. Aus der Sicht unseres Rechtssystemes sind diese taktischen Man&ouml;ver nicht akzeptabel, zumal sich die psychische Verfassung mehrerer Geschworener im Verlaufe des monatelangen Simpson-Prozesses nicht zuletzt wegen  ihrer Unterbringung in einem abgeschirmten Hotel erheblich litt. Mehrere Jurymitglieder mu&szlig;ten deshalb entlassen werden, so da&szlig; Mitte 1995 nur noch zwei Ersatzsch&ouml;ffen zur Verf&uuml;gung standen; bei weniger als zw&ouml;lf Sch&ouml;ffen aber w&auml;re der Proze&szlig; wegen des Einspruches von Anklage und/oder Verteidigung geplatzt. Bei gleichem Stimmverh&auml;ltnis (6:6) h&auml;tte der Proze&szlig; sogar ohne Entscheidung enden k&ouml;nnen.
Da von Seiten der Anklage und der Verteidigung eine ausgesprochene Meinungspolarisierung angestrebt war, spielten die objektiven Beweise aus der DNA-Untersuchung der auf dem Grundst&uuml;ck von Nicole Brown Simpson gefundenen Spuren sowie eines blutbefleckten Handschuhes eine herausragende Rolle. <br>Proze&szlig;beobachter berichten, da&szlig; es den Geschworenen schwer fiel, diesem elementaren Teil der Beweisaufnahme - dem Bericht &uuml;ber die DNA-Typisierungsergebnisse - zu folgen. Immerhin wurde die Einf&uuml;hrung in dieses Thema durch Dr. Robin Cotton, der Vorsitzenden der mit einigen Typisierungen beauftragten Firma Cellmark Diagnostics,  als didaktischer H&ouml;hepunkt beschrieben.    <br>


<br><b>


Die Technik<br></b>
Im Strafprozeß gegen den Ex-Footballspieler O.J. Simpson, der mit einem Freispruch endete, zeigte sich erneut die enorme Leistungsfähigkeit der DNA-Typisierung. Dennoch führten die Schwächen und Eigenheiten der amerikanischen Rechtsprechung dazu, daß die DNA-Beweise letztlich wenig Gewicht erhielten. Weil der Fall Simpson derjenige ist, auf den wir im Moment am häufigsten angesprochen werden, soll er an dieser Stelle einmal im Detail betrachtet werden. Zugleich soll eine Übersicht über den heutigen Stand der Individualidentifikation mittels DNA-Analyse gegeben werden, die zeigt, daß Verläßlichkeit und Geschwindigkeit der Diagnosestellung weiter zunehmen.<br>
In den letzten Jahren hat sich die 1985 von Professor Alec Jeffreys erdachte Methode der Untersuchung
des Erbgutes zu Identifizierungszwecken erheblich ver&auml;ndert. Zwar werden nach wie vor sich wiederholende
DNA-Bereiche untersucht, deren genetische Funktion bislang unbekannt ist, doch liegen diese an anderen Stellen des Erbgutfadens DNA und werden auf andere Weise sichtbargemacht. Zugleich basieren die heute errechneten Individualisierungswahrscheinlichkeiten einer Tatortspur auf anderen statistischen Methoden.
Die eigentlichen ´genetischen Fingerabdr&uuml;ckeª - diesen Namen hatte ihr geistiger Vater Jeffreys ersonnen - entstehen dadurch, da&szlig; gro&szlig;e Mengen genomischer (das hei&szlig;t aus dem Zellkern stammender, unfragmentierter) DNA mithilfe von Schneideenzymen in definierte St&uuml;cke zerkleinert und auf einem Agarosegel elektrophoretisch aufgetrennt wird. Die gesuchten, sich wiederholenden DNA-Bereiche (sogenannte variable number of tandem repeats, VNTRs) werden nun unter allen ihrer Gr&ouml;&szlig;e bzw. L&auml;nge nach aufgetrennten DNA-Fragmenten von ´Sondenª erkannt. Als Sonden dienen den VNTR-Bereichen komplement&auml;re DNA-St&uuml;cke, die durch radioaktive oder chemolumineszente Markierung sichtbargemacht werden. Das individualspezifischen Muster der Fragmentl&auml;ngen (restriction fragment length polymorphism, RFLP) erlaubt die sichere Identifizierung von Personen bzw. die Kl&auml;rung von Vaterschaften. <br></HTML>


Dies ist nur die Einleitung des Artikels. Der volle Artikel ist hier zu haben:<br>


&rarr; Kriminalistik Verlag / Hüthig Jehle Rehm, Postfach 102869, Im Weiher 10, 69018 Heidelberg, Tel.: 0049 6221 489-416, Fax: 0049 6221 489-624, Internet http://kriminalistik.de/<br>
===<font color=orange>Der Prozess</font>===


&rarr; oder auch bei jeder Universitätsbibliothek, beispielsweise hier: http://www.medpilot.de/ mit sehr schneller Dokumentenlieferung<br>
Am 12. Juni 1994 wurde O.J. Simpsons geschiedene Frau Nicole Brown und deren Freund Ron Goldman zwischen 22 und 22.20 Uhr bestialisch ermordet; die Leichen lagen im Eingangsberich des Hauses von Nicole Brown Simpson. Lebende Tatzeugen gab es nicht. O.J. Simpson, der unter anderem wegen einer oft als Flucht interpretierten Autofahrt in Mordverdacht geraten war, verweigerte die Aussage.<br>




Anklage und Verteidigung bildeten von vorneherein je ein gemischtes Team aus schwarzen und weißen Anwälten. Damit wurde der in den Vereinigten Staaten bis zum Exzeß betriebenen Diskussion um politische correctness (PC) vorgebeugt bzw. genüge getan. Die Eltern des Richters Lance Ito stammen aus Ostasien, was diesen über den möglichen Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit heraushob. Andere Prozeßteilnehmer hatten es da schwerer - so mußten sich Polizeibeamte im Gerichtssaal fragen lassen, ob sie jemals das abwertende Wort «nigger» gebraucht hätten. Der daraus abgeleitete Rassismusvorwurf kann einen Zeugen - vollkommen unabhängig von seiner Sachkompetenz - vor der Jury bereits unglaubwürdig machen. Auch die an den Nobelpreisträger und Sachverständigen Kary Mullis gerichtete Frage, ob er längere Zeit LSD genommen habe (was dieser freimütig zugesteht), zielte in diese Richtung. Man sieht, wie sehr die Grenze zwischen Tatsachen, Vermutungen und irrelevantem Gerede bewußt verwischt wurde. Aus der Sicht unseres Rechtssystemes sind diese taktischen Manöver nicht akzeptabel, zumal sich die psychische Verfassung mehrerer Geschworener im Verlaufe des monatelangen Simpson-Prozesses nicht zuletzt wegen ihrer Unterbringung in einem abgeschirmten Hotel erheblich litt. Mehrere Jurymitglieder mußten deshalb entlassen werden, so daß Mitte 1995 nur noch zwei Ersatzschöffen zur Verfügung standen; bei weniger als zwölf Schöffen aber wäre der Prozeß wegen des Einspruches von Anklage und/oder Verteidigung geplatzt. Bei gleichem Stimmverhältnis (6:6) hätte der Prozeß sogar ohne Entscheidung enden können. Da von Seiten der Anklage und der Verteidigung eine ausgesprochene Meinungspolarisierung angestrebt war, spielten die objektiven Beweise aus der DNA-Untersuchung der auf dem Grundstück von Nicole Brown Simpson gefundenen Spuren sowie eines blutbefleckten Handschuhes eine herausragende Rolle.<br>


Prozeßbeobachter berichten, daß es den Geschworenen schwer fiel, diesem elementaren Teil der Beweisaufnahme - dem Bericht über die DNA-Typisierungsergebnisse - zu folgen. Immerhin wurde die Einführung in dieses Thema durch Dr. Robin Cotton, der Vorsitzenden der mit einigen Typisierungen beauftragten Firma Cellmark Diagnostics, als didaktischer Höhepunkt beschrieben.<br>
===<font color=orange>Die Technik</font>===
In den letzten Jahren hat sich die 1985 von Professor Alec Jeffreys erdachte Methode der Untersuchung des Erbgutes zu Identifizierungszwecken erheblich verändert. Zwar werden nach wie vor sich wiederholende DNA-Bereiche untersucht, deren genetische Funktion bislang unbekannt ist, doch liegen diese an anderen Stellen des Erbgutfadens DNA und werden auf andere Weise sichtbargemacht. Zugleich basieren die heute errechneten Individualisierungswahrscheinlichkeiten einer Tatortspur auf anderen statistischen Methoden. Die eigentlichen «genetischen Fingerabdrücke» - diesen Namen hatte ihr geistiger Vater Jeffreys ersonnen - entstehen dadurch, daß große Mengen genomischer (das heißt aus dem Zellkern stammender, unfragmentierter) DNA mithilfe von Schneideenzymen in definierte Stücke zerkleinert und auf einem Agarosegel elektrophoretisch aufgetrennt wird. Die gesuchten, sich wiederholenden DNA-Bereiche (sogenannte variable number of tandem repeats, VNTRs) werden nun unter allen ihrer Größe bzw. Länge nach aufgetrennten DNA-Fragmenten von «Sonden» erkannt. Als Sonden dienen den VNTR-Bereichen komplementäre DNA-Stücke, die durch radioaktive oder chemolumineszente Markierung sichtbargemacht werden. Das individualspezifischen Muster der Fragmentlängen (restriction fragment length polymorphism, RFLP) erlaubt die sichere Identifizierung von Personen bzw. die Klärung von Vaterschaften.<br>
Daß das klassische RFLP-Verfahren technisch einwandfrei ist, zeigte erst kürzlich wieder der zweimal jährlich stattfindende Ringversuch unter fast allen forensisch arbeitenden Labors aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und anderen benachbarten Staaten. Der einzige Nachteil der RFLP-Technik in praxi ist die große Menge benötigter DNA (5-10 µg) - bei Vaterschaftsfällen kein Problem, bei winzigen Blut-, Sperma oder Speichelspuren jedoch eine nicht überwindbare Beschränkung. Daher nutzen immer mehr Labors die Methode der DNA-Vervielfältigung durch die Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR), für deren Entwicklung Kary Mullis 1993 den Nobelpreis erhielt. Durch die Wahl geeigneter DNA-Startermoleküle wird bei der PCR-Typisierung nicht das gesamte Genom zerschnitten und aufgetrennt, sondern es werden ausgewählte, polymorphe DNA-Strecken vervielfältigt und dargestellt. Daher benötigen die Labors eine wesentlich geringere Menge an Ausgangs-DNA. Von den für rechtsmedizinische Untersuchungen geeigneten, bis zu hundert DNA-Bereichen werden im täglichen Laboreinsatz etwa fünf bis zehn regelmäßig verwendet.<br>
Weil die durch PCR vervielfältigten DNA-Bereiche wesentlich kürzer sind (max. 500 DNA-Bausteine oder Nukleotide) als beim Restriktionslängenpolymorphismus (bis ca. 20.000 Nukleotide), kann auch DNA, die durch Trockenheit, Licht oder sonstige Umwelteinflüße zerbrochen ist, noch typisiert werden. Winzige Blutspritzer auf einer Hose, Speichel an Zigarettenkippen oder einem Kaugummi sowie ausgefallene Haare sind daher heute sicher individualisierbar.
Mittlerweile trennen einzelne Labors die vervielfältigten DNA-Stücke nicht nur der Länge nach auf, sondern untersuchen sie zusätzlich Nukleotid für Nukleotid mittels der Sequenzanalyse. Auf diese Weise werden auch die kleinsten überhaupt vorhandenen Unterschiede zwischen einzelnen Individuen dargestellt.<br>
Mit der immer gründlicheren Kenntnis der untersuchten DNA-Bereiche nimmt die Aussagekraft der DNA-Typisierung weiter zu. Interlaborielle Vergleiche garantieren nicht nur die volle Reproduzierbarkeit der Ergebnisse: Breitgefächerte Untersuchungen der Verteilung der untersuchten DNA-Bereiche (Allelfrequenzen) innerhalb verschiedener Populationen (auch Rassen) ermöglichen darüberhinaus präzise mathematische Aussagen zur Wahrscheinlichkeit, mit der eine Spur einer verdächtigen Person (oder ein Kind einem Vater) zugeordnet werden kann. Beide Verfahren - RFLP und PCR - wurdem im Fall Simpson benutzt.<br>
===<font color=orange>Die DNA-Beweise im Prozeß</font>===
Auf dem Grundstück von Nicole Brown Simpson wurden insgesamt an sieben Stellen biologische Spuren (Blut und Fingernagelmaterial) sichergestellt. Besonders informativ waren dabei Blutstropfen auf dem Gehweg, die sowohl mit der klassischen Typisierungsmethode (RFLP) als auch mittels der neuen Methode (PCR) untersucht wurden. Die Wahrscheinlichkeit, daß die genannten Blutspuren von O.J. Simpson stammten, wurde zu 1:240.000 (PCR) und 1:170 Millionen (RFLP) errechnet.<br>
Auch auf dem Gelände in und um O.J. Simpsons Heim wurde Blut gefunden. Wieder belasteten mehrere Spuren Simpson: Drei Blutstropfen auf Socken, die in seinem Schlafzimmer gefunden wurden, konnten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:21 Milliarden seiner Exfrau zugeordnet werden. Allein von einem blutbefleckten Handschuh, der hinter einer Mauer von Simpsons Grundstück lag, wurden elf Materialproben anhand von insgesamt 22 RFLPs und 17 PCR-Polymorphismen untersucht. Das Blut am Handschuh stammte mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:41 Milliarden von Ron Goldmann, dem Freund von Frau Simpson.<br>
Als verfahrenstechnische Besonderheit wurden die DNA-Beweise im Prozeß nicht in Form von Aus- oder Einschlußwahrscheinlichkeiten präsentiert. Dies sollte von vorneherein verhindern, daß die Verteidigung etwaige Zahlenwerte als zu abstrakt hinstellen würde oder daß die Medien durch lax formulierte Wahrscheinlichkeitsangaben irreführende Ergebnisse veröffentlichen würden (dennoch geschah beides). Der Jury wurde vielmehr mitgeteilt, welche der drei beteiligten Personen (Simpson, Brown Simpson, Goldmann) als Verursacher jeder einzelnen Spur nicht ausgeschlossen werden konnte. Ernste Bedenken gegen die DNA-Typisierung als Methode ließen sich zum Zeitpunkt des Simpson-Prozesses nicht mehr erbringen. Selbst Dr. Eric Lander aus Cambridge, der Ende der achziger Jahre durch ein vernichtendes Gutachten eine Kontroverse um die statistische Sicherheit der DNA-Typisierung mitausgelöst hatte, war sich mit Dr. Bruce Budowle vom FBI einig: «The DNA fingerprinting wars are over». Der einstmals heftige Streit führte im Gegenteil dazu, daß regelmäßige Laborvergleiche, computergestützte Auswertungsverfahren, bei denen in jedem Schritt die optische Darstellung der DNA-Fragmente beibehalten bleibt, sowie breitangelegte populationsgenetische Untersuchungen durchgeführt wurden; routinierte Laborteams garantieren seitdem die sichere Handhabung der DNA-Typisierung.<br>
===<font color=orange>Die Verteidigung</font>===
Wegen der erdrückenden Beweislast der DNA-Untersuchung verlegte sich die Verteidigung Simpsons nun darauf, die Herkunft der fraglichen Blutspuren und nicht die DNA-Typisierung anzuzweifeln (zur Diskussion stand unter anderem die mögliche künstliche Spurenlegung durch einen Polizeibeamten). Betrachtet man die oben genannten Wahrscheinlichkeiten und Fundorte der Spuren, so erkennt man deutlich, daß besonders die ausgewalzte Diskussion um die Herkunft des blutigen Handschuhes viele Züge einer der Ablenkung dienenden show trug.<br>
Sowohl die Beamten, welche die Beweise sichergestellt hatten, wurden von der Verteidigung persönlich in Mißkredit gebracht (ob zurecht oder zu Unrecht soll hier nicht beurteilt werden) als auch die Spurensicherung an sich. Von einem schlampigen («sloppy») Vorgehen der Polizisten und Wissenschaftler mit der Gefahr der Kontamination der Spuren wurde gesprochen. Die Verteidigung wußte dabei sehr wohl, daß die Verunreinigung einer Spur durch einen Beamten oder Wissenschaftler - hätte eine solche stattgefunden - die DNA-Typisierung im Fall Simpson kaum hätte stören können: Die Typisierungsmuster aller Beteiligten waren bekannt und konnten bei der Auswertung berücksichtigt werden. Dennoch gelang es den Verteidigern, darunter den in Amerika sehr bekannten Anwälte Johnnie Cochran junior und Robert Shapiro durch hauchdünne Mutmaßungen, die hieb- und stichfeste DNA-Analyse zu unterwandern.<br>
===<font color=orange>Schlußbemerkung</font>===
Es ist anzunehmen, daß eine strenge Berücksichtigung wissenschaftlich gewonnener Tatsachen den Ausgang des Strafprozesses im Falle Simpson geändert hätte. Während deutsche Richter DNA-Beweise anfangs zögerlich verwendeten und damit wacklige Gutachten, wie sie vor zehn Jahren in den Vereinigten Staaten vorgelegt wurden, gar nicht erst ermöglichten, bewirkt die Art amerikanischer Strafprozesse mit Geschworenen, daß alle Sachbeweise - auch DNA-Typisierungsergebnisse - vollkommen willkürlich gewichtet werden können. Ob es sich wirklich um einen «Kulturschock» handelt, wenn Richter, Geschworene und Wissenschaftler im Gerichtssaal aufeinandertreffen, wie es die angesehene Wissenschaftszeitschrift «Science» vermutet, bleibt dahingestellt. Vielmehr ist zu hoffen, daß die unwürdige Schwerpunktverlagerung weg von den Tatsachen und hin zu Spekulationen nur im Einzelfall des Simpson-Prozesses dazu geführt hat, daß Sachbeweisen unverdient wenig Bedeutung beigemessen wurde.<br>
Literatur<br>
<li>Benecke M (1995) Verräterische Muster. Die Zeit 16/1995:43</li>
<li>Benecke M (1995) Was ist ein genetischer Fingerabdruck? Die Zeit 16/1995:43</li>
<li>Cohen J (1995) Genes and behavior make an appearance in the O.J. trial. Science 268:22-23</li>
<li>Henke J (1995) Die Bedeutung der DNA-Analysen im Prozeß gegen O.J. Simpson. Der Amtsvormund, Juli 1995:788-802</li>
<li>Lander ES, Budowle B (1994) DNA fingerprinting dispute laid to rest. Nature 371:735-738</li>
<li>Lee HC, Ladd C, Bourke MT, Pagliaro E, Tirnady F (1994) DNA typing in forensic science. The American Journal of Forensic Medicine and Pathology 15:269-282</li>
<li>Lewin R (1989) DNA typing on the witness stand. Science 244:1033-1035</li>
<li>Neufeld PJ, Coman N (1990) When science takes the witness stand. Scientific American 262:18-21</li>
<li>Nowak R (1994) Forensic Science goes to court with O.J. Science 265:1352-1354</li>
<li>Roberts L (1992) Science in a court: A culture clash. Science 257:732-736</li>
<li>Shapiro ED, Reifler S (1996) Forensic DNA analysis and the united states government. Medicine, Science and Law 36:43-51</li>
<li>Zarbock (1995) Das DNA-Verfahren im Strafprozeß und in Vaterschaftsfestellungen am Beispiel des Simpson-Prozesses in Los Angeles. Der Amtsvormund, Juli 1995:788-802</li><br>
<center>''Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.''</center><br><br>
==<font color=orange>Lesetipps</font>==
<br><i>
* [[All_Mark_Benecke_Publications#Some_Examples_for_Real_Cases|Weitere reale Fälle]]<br>
* [[2004-05 Kriminalistik: "Schlachtungs"-Handlungen im sadomasochistischen Umfeld|"Schlachtungs"-Handlungen im sadomasochistischen Umfeld]]<br>
* [[2010-02 Kriminalistik: Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 1|Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 1]]<br>
* [[2010-03 Kriminalistik: Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 2 und 3|Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 2 und 3]]<br>
* [[DNA_Massentest|DNA-Massentest im Fall Nicky Verstappen (†11)]]<br>
* [[2010-05_Kriminalistik:_Diskussion|Gibt es einen Zusammenhang zwischen Verbrechen & Tattoos?]]<br>
* [[2019-12: Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke macht Mut zur Zivilcourage|2019-12: Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke macht Mut zur Zivilcourage]]
* [[2002-02 Kriminalistik: Milzbrandbriefe auch in Deutschland?|Milzbrandbriefe auch in Deutschland?]]<br>
* [[2000-10 Kriminalistik: Asservierung von Insekten an Leichen|Asservierung von Insekten an Leichen]]<br>
* [[1997 Kriminalistik 51: Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung. (Techno. Phenomenology of a prevailing trend.)|Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung]]<br>
* [[2017 02 Kriminalistik: Handy Abriebe|Rückschlüsse durch Handy-Abriebe]]<br>
* [[2011 10 Kriminalistik: Einsatz von übersinnlichen Fähigkeiten|Einsatz von übersinnlichen Fähigkeiten]]<br>
* [[2012 03 Kriminalistik: Silikon als Abformmittel in Extremsituationen|Silikon als Abformmittel in Extremsituationen]]<br>
* [[2005 SeroNews: Adrienne Lochte (2004): Sie werden dich nicht finden. Der Fall Jakob von Metzler|Sie werden dich nicht finden. Der Fall Jakob von Metzler]]
* [[All_Mark_Benecke_Publications#DNA_and_DNA_Typing|Mehr über DNA und DNA-Typisierung]]<br>
* [[2019 03 Der Westen: Die Leiche ist für den Fall nicht das Entscheidende|Die Leiche ist für den Fall nicht das Entscheidende]]
* [[2019-03-18 BILD: Wie kann ein Mensch spurlos verschwinden|Wie kann ein Mensch spurlos verschwinden?]]
* [[2001 10 FAZ: Das sind nicht Sachen sondern Menschen|Das sind nicht Sachen sondern Menschen]]<br>
* [[2019-03 Zollern Alb Kurier: Wahrheit, die kalte Geliebte|Wahrheit, die kalte Geliebte]]
* [[2019-12: Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke macht Mut zur Zivilcourage|Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke macht Mut zur Zivilcourage]]
* [[2019 der kriminalist: Vom Tatort bis zur Homoeopathie|Vom Tatort bis zur Homöopathie]]
* [[Kriminalistik 6/2019: Blutschwitzen|Blutschwitzen]]
* [[2019-12 BILD Online: Mordfall Claudia Ruf|Mordfall Claudia Ruf]]
* [[2014 Unvoreingenomenheit als Lebensmotto|Unvoreingenommenheit als Lebensmotto]]
* [[2005 SeroNews: Stephan Harbort (2004) "Ich musste sie kaputt machen" -- Anatomie eines Jahrhundert-Mörders|Stephan Harbort (2004) "Ich musste sie kaputt machen" -- Anatomie eines Jahrhundert-Mörders]]
* [[2016 10 welt de: Was bei DNA Untersuchungen schiefgehen kann|Was bei DNA Untersuchungen schiefgehen kann]]<br>
</i><br>
{{Addressfooter}}
{{Addressfooter}}
__NOTOC__
__NOEDITSECTION__

Latest revision as of 16:35, 15 June 2020

Krimi logo.gif

Quelle: Kriminalistik, Heft 50/1996, Seiten 481 bis 483

Die DNA-Beweise im Fall Simpson

(DNA evidence in the O. J. Simpson trial)

[Weitere Artikel von MB] [Artikel über MB]

VON MARK BENECKE

Klick für's PDF!


Im Strafprozeß gegen den Ex-Footballspieler O.J. Simpson, der mit einem Freispruch endete, zeigte sich erneut die enorme Leistungsfähigkeit der DNA-Typisierung. Dennoch führten die Schwächen und Eigenheiten der amerikanischen Rechtsprechung dazu, daß die DNA-Beweise letztlich wenig Gewicht erhielten. Weil der Fall Simpson derjenige ist, auf den wir im Moment am häufigsten angesprochen werden, soll er an dieser Stelle einmal im Detail betrachtet werden. Zugleich soll eine Übersicht über den heutigen Stand der Individualidentifikation mittels DNA-Analyse gegeben werden, die zeigt, daß Verläßlichkeit und Geschwindigkeit der Diagnosestellung weiter zunehmen.


Der Prozess

Am 12. Juni 1994 wurde O.J. Simpsons geschiedene Frau Nicole Brown und deren Freund Ron Goldman zwischen 22 und 22.20 Uhr bestialisch ermordet; die Leichen lagen im Eingangsberich des Hauses von Nicole Brown Simpson. Lebende Tatzeugen gab es nicht. O.J. Simpson, der unter anderem wegen einer oft als Flucht interpretierten Autofahrt in Mordverdacht geraten war, verweigerte die Aussage.


Anklage und Verteidigung bildeten von vorneherein je ein gemischtes Team aus schwarzen und weißen Anwälten. Damit wurde der in den Vereinigten Staaten bis zum Exzeß betriebenen Diskussion um politische correctness (PC) vorgebeugt bzw. genüge getan. Die Eltern des Richters Lance Ito stammen aus Ostasien, was diesen über den möglichen Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit heraushob. Andere Prozeßteilnehmer hatten es da schwerer - so mußten sich Polizeibeamte im Gerichtssaal fragen lassen, ob sie jemals das abwertende Wort «nigger» gebraucht hätten. Der daraus abgeleitete Rassismusvorwurf kann einen Zeugen - vollkommen unabhängig von seiner Sachkompetenz - vor der Jury bereits unglaubwürdig machen. Auch die an den Nobelpreisträger und Sachverständigen Kary Mullis gerichtete Frage, ob er längere Zeit LSD genommen habe (was dieser freimütig zugesteht), zielte in diese Richtung. Man sieht, wie sehr die Grenze zwischen Tatsachen, Vermutungen und irrelevantem Gerede bewußt verwischt wurde. Aus der Sicht unseres Rechtssystemes sind diese taktischen Manöver nicht akzeptabel, zumal sich die psychische Verfassung mehrerer Geschworener im Verlaufe des monatelangen Simpson-Prozesses nicht zuletzt wegen ihrer Unterbringung in einem abgeschirmten Hotel erheblich litt. Mehrere Jurymitglieder mußten deshalb entlassen werden, so daß Mitte 1995 nur noch zwei Ersatzschöffen zur Verfügung standen; bei weniger als zwölf Schöffen aber wäre der Prozeß wegen des Einspruches von Anklage und/oder Verteidigung geplatzt. Bei gleichem Stimmverhältnis (6:6) hätte der Prozeß sogar ohne Entscheidung enden können. Da von Seiten der Anklage und der Verteidigung eine ausgesprochene Meinungspolarisierung angestrebt war, spielten die objektiven Beweise aus der DNA-Untersuchung der auf dem Grundstück von Nicole Brown Simpson gefundenen Spuren sowie eines blutbefleckten Handschuhes eine herausragende Rolle.


Prozeßbeobachter berichten, daß es den Geschworenen schwer fiel, diesem elementaren Teil der Beweisaufnahme - dem Bericht über die DNA-Typisierungsergebnisse - zu folgen. Immerhin wurde die Einführung in dieses Thema durch Dr. Robin Cotton, der Vorsitzenden der mit einigen Typisierungen beauftragten Firma Cellmark Diagnostics, als didaktischer Höhepunkt beschrieben.


Die Technik

In den letzten Jahren hat sich die 1985 von Professor Alec Jeffreys erdachte Methode der Untersuchung des Erbgutes zu Identifizierungszwecken erheblich verändert. Zwar werden nach wie vor sich wiederholende DNA-Bereiche untersucht, deren genetische Funktion bislang unbekannt ist, doch liegen diese an anderen Stellen des Erbgutfadens DNA und werden auf andere Weise sichtbargemacht. Zugleich basieren die heute errechneten Individualisierungswahrscheinlichkeiten einer Tatortspur auf anderen statistischen Methoden. Die eigentlichen «genetischen Fingerabdrücke» - diesen Namen hatte ihr geistiger Vater Jeffreys ersonnen - entstehen dadurch, daß große Mengen genomischer (das heißt aus dem Zellkern stammender, unfragmentierter) DNA mithilfe von Schneideenzymen in definierte Stücke zerkleinert und auf einem Agarosegel elektrophoretisch aufgetrennt wird. Die gesuchten, sich wiederholenden DNA-Bereiche (sogenannte variable number of tandem repeats, VNTRs) werden nun unter allen ihrer Größe bzw. Länge nach aufgetrennten DNA-Fragmenten von «Sonden» erkannt. Als Sonden dienen den VNTR-Bereichen komplementäre DNA-Stücke, die durch radioaktive oder chemolumineszente Markierung sichtbargemacht werden. Das individualspezifischen Muster der Fragmentlängen (restriction fragment length polymorphism, RFLP) erlaubt die sichere Identifizierung von Personen bzw. die Klärung von Vaterschaften.


Daß das klassische RFLP-Verfahren technisch einwandfrei ist, zeigte erst kürzlich wieder der zweimal jährlich stattfindende Ringversuch unter fast allen forensisch arbeitenden Labors aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und anderen benachbarten Staaten. Der einzige Nachteil der RFLP-Technik in praxi ist die große Menge benötigter DNA (5-10 µg) - bei Vaterschaftsfällen kein Problem, bei winzigen Blut-, Sperma oder Speichelspuren jedoch eine nicht überwindbare Beschränkung. Daher nutzen immer mehr Labors die Methode der DNA-Vervielfältigung durch die Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR), für deren Entwicklung Kary Mullis 1993 den Nobelpreis erhielt. Durch die Wahl geeigneter DNA-Startermoleküle wird bei der PCR-Typisierung nicht das gesamte Genom zerschnitten und aufgetrennt, sondern es werden ausgewählte, polymorphe DNA-Strecken vervielfältigt und dargestellt. Daher benötigen die Labors eine wesentlich geringere Menge an Ausgangs-DNA. Von den für rechtsmedizinische Untersuchungen geeigneten, bis zu hundert DNA-Bereichen werden im täglichen Laboreinsatz etwa fünf bis zehn regelmäßig verwendet.


Weil die durch PCR vervielfältigten DNA-Bereiche wesentlich kürzer sind (max. 500 DNA-Bausteine oder Nukleotide) als beim Restriktionslängenpolymorphismus (bis ca. 20.000 Nukleotide), kann auch DNA, die durch Trockenheit, Licht oder sonstige Umwelteinflüße zerbrochen ist, noch typisiert werden. Winzige Blutspritzer auf einer Hose, Speichel an Zigarettenkippen oder einem Kaugummi sowie ausgefallene Haare sind daher heute sicher individualisierbar. Mittlerweile trennen einzelne Labors die vervielfältigten DNA-Stücke nicht nur der Länge nach auf, sondern untersuchen sie zusätzlich Nukleotid für Nukleotid mittels der Sequenzanalyse. Auf diese Weise werden auch die kleinsten überhaupt vorhandenen Unterschiede zwischen einzelnen Individuen dargestellt.


Mit der immer gründlicheren Kenntnis der untersuchten DNA-Bereiche nimmt die Aussagekraft der DNA-Typisierung weiter zu. Interlaborielle Vergleiche garantieren nicht nur die volle Reproduzierbarkeit der Ergebnisse: Breitgefächerte Untersuchungen der Verteilung der untersuchten DNA-Bereiche (Allelfrequenzen) innerhalb verschiedener Populationen (auch Rassen) ermöglichen darüberhinaus präzise mathematische Aussagen zur Wahrscheinlichkeit, mit der eine Spur einer verdächtigen Person (oder ein Kind einem Vater) zugeordnet werden kann. Beide Verfahren - RFLP und PCR - wurdem im Fall Simpson benutzt.


Die DNA-Beweise im Prozeß

Auf dem Grundstück von Nicole Brown Simpson wurden insgesamt an sieben Stellen biologische Spuren (Blut und Fingernagelmaterial) sichergestellt. Besonders informativ waren dabei Blutstropfen auf dem Gehweg, die sowohl mit der klassischen Typisierungsmethode (RFLP) als auch mittels der neuen Methode (PCR) untersucht wurden. Die Wahrscheinlichkeit, daß die genannten Blutspuren von O.J. Simpson stammten, wurde zu 1:240.000 (PCR) und 1:170 Millionen (RFLP) errechnet.


Auch auf dem Gelände in und um O.J. Simpsons Heim wurde Blut gefunden. Wieder belasteten mehrere Spuren Simpson: Drei Blutstropfen auf Socken, die in seinem Schlafzimmer gefunden wurden, konnten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:21 Milliarden seiner Exfrau zugeordnet werden. Allein von einem blutbefleckten Handschuh, der hinter einer Mauer von Simpsons Grundstück lag, wurden elf Materialproben anhand von insgesamt 22 RFLPs und 17 PCR-Polymorphismen untersucht. Das Blut am Handschuh stammte mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:41 Milliarden von Ron Goldmann, dem Freund von Frau Simpson.


Als verfahrenstechnische Besonderheit wurden die DNA-Beweise im Prozeß nicht in Form von Aus- oder Einschlußwahrscheinlichkeiten präsentiert. Dies sollte von vorneherein verhindern, daß die Verteidigung etwaige Zahlenwerte als zu abstrakt hinstellen würde oder daß die Medien durch lax formulierte Wahrscheinlichkeitsangaben irreführende Ergebnisse veröffentlichen würden (dennoch geschah beides). Der Jury wurde vielmehr mitgeteilt, welche der drei beteiligten Personen (Simpson, Brown Simpson, Goldmann) als Verursacher jeder einzelnen Spur nicht ausgeschlossen werden konnte. Ernste Bedenken gegen die DNA-Typisierung als Methode ließen sich zum Zeitpunkt des Simpson-Prozesses nicht mehr erbringen. Selbst Dr. Eric Lander aus Cambridge, der Ende der achziger Jahre durch ein vernichtendes Gutachten eine Kontroverse um die statistische Sicherheit der DNA-Typisierung mitausgelöst hatte, war sich mit Dr. Bruce Budowle vom FBI einig: «The DNA fingerprinting wars are over». Der einstmals heftige Streit führte im Gegenteil dazu, daß regelmäßige Laborvergleiche, computergestützte Auswertungsverfahren, bei denen in jedem Schritt die optische Darstellung der DNA-Fragmente beibehalten bleibt, sowie breitangelegte populationsgenetische Untersuchungen durchgeführt wurden; routinierte Laborteams garantieren seitdem die sichere Handhabung der DNA-Typisierung.


Die Verteidigung

Wegen der erdrückenden Beweislast der DNA-Untersuchung verlegte sich die Verteidigung Simpsons nun darauf, die Herkunft der fraglichen Blutspuren und nicht die DNA-Typisierung anzuzweifeln (zur Diskussion stand unter anderem die mögliche künstliche Spurenlegung durch einen Polizeibeamten). Betrachtet man die oben genannten Wahrscheinlichkeiten und Fundorte der Spuren, so erkennt man deutlich, daß besonders die ausgewalzte Diskussion um die Herkunft des blutigen Handschuhes viele Züge einer der Ablenkung dienenden show trug.


Sowohl die Beamten, welche die Beweise sichergestellt hatten, wurden von der Verteidigung persönlich in Mißkredit gebracht (ob zurecht oder zu Unrecht soll hier nicht beurteilt werden) als auch die Spurensicherung an sich. Von einem schlampigen («sloppy») Vorgehen der Polizisten und Wissenschaftler mit der Gefahr der Kontamination der Spuren wurde gesprochen. Die Verteidigung wußte dabei sehr wohl, daß die Verunreinigung einer Spur durch einen Beamten oder Wissenschaftler - hätte eine solche stattgefunden - die DNA-Typisierung im Fall Simpson kaum hätte stören können: Die Typisierungsmuster aller Beteiligten waren bekannt und konnten bei der Auswertung berücksichtigt werden. Dennoch gelang es den Verteidigern, darunter den in Amerika sehr bekannten Anwälte Johnnie Cochran junior und Robert Shapiro durch hauchdünne Mutmaßungen, die hieb- und stichfeste DNA-Analyse zu unterwandern.


Schlußbemerkung

Es ist anzunehmen, daß eine strenge Berücksichtigung wissenschaftlich gewonnener Tatsachen den Ausgang des Strafprozesses im Falle Simpson geändert hätte. Während deutsche Richter DNA-Beweise anfangs zögerlich verwendeten und damit wacklige Gutachten, wie sie vor zehn Jahren in den Vereinigten Staaten vorgelegt wurden, gar nicht erst ermöglichten, bewirkt die Art amerikanischer Strafprozesse mit Geschworenen, daß alle Sachbeweise - auch DNA-Typisierungsergebnisse - vollkommen willkürlich gewichtet werden können. Ob es sich wirklich um einen «Kulturschock» handelt, wenn Richter, Geschworene und Wissenschaftler im Gerichtssaal aufeinandertreffen, wie es die angesehene Wissenschaftszeitschrift «Science» vermutet, bleibt dahingestellt. Vielmehr ist zu hoffen, daß die unwürdige Schwerpunktverlagerung weg von den Tatsachen und hin zu Spekulationen nur im Einzelfall des Simpson-Prozesses dazu geführt hat, daß Sachbeweisen unverdient wenig Bedeutung beigemessen wurde.


Literatur

  • Benecke M (1995) Verräterische Muster. Die Zeit 16/1995:43
  • Benecke M (1995) Was ist ein genetischer Fingerabdruck? Die Zeit 16/1995:43
  • Cohen J (1995) Genes and behavior make an appearance in the O.J. trial. Science 268:22-23
  • Henke J (1995) Die Bedeutung der DNA-Analysen im Prozeß gegen O.J. Simpson. Der Amtsvormund, Juli 1995:788-802
  • Lander ES, Budowle B (1994) DNA fingerprinting dispute laid to rest. Nature 371:735-738
  • Lee HC, Ladd C, Bourke MT, Pagliaro E, Tirnady F (1994) DNA typing in forensic science. The American Journal of Forensic Medicine and Pathology 15:269-282
  • Lewin R (1989) DNA typing on the witness stand. Science 244:1033-1035
  • Neufeld PJ, Coman N (1990) When science takes the witness stand. Scientific American 262:18-21
  • Nowak R (1994) Forensic Science goes to court with O.J. Science 265:1352-1354
  • Roberts L (1992) Science in a court: A culture clash. Science 257:732-736
  • Shapiro ED, Reifler S (1996) Forensic DNA analysis and the united states government. Medicine, Science and Law 36:43-51
  • Zarbock (1995) Das DNA-Verfahren im Strafprozeß und in Vaterschaftsfestellungen am Beispiel des Simpson-Prozesses in Los Angeles. Der Amtsvormund, Juli 1995:788-802

  • Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.



    Lesetipps




    Dr. rer. medic. Mark Benecke · Diplombiologe (verliehen in Deutschland) · Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung u. Auswertung von biologischen Spuren (IHK Köln) · Landsberg-Str. 16, 50678 Köln, Deutschland, E-Mail: forensic@benecke.com · www.benecke.com · Umsatzsteueridentifikationsnummer: ID: DE212749258 · Aufsichtsbehörde: Industrie- und Handelskammer zu Köln, Unter Sachsenhausen 10-26, 50667 Köln, Deutschland · Fallbearbeitung und Termine nur auf echtem Papier. Absprachen per E-mail sind nur vorläufige Gedanken und nicht bindend. 🗺 Dr. Mark Benecke, M. Sc., Ph.D. · Certified & Sworn In Forensic Biologist · International Forensic Research & Consulting · Postfach 250411 · 50520 Cologne · Germany · Text SMS in criminalistic emergencies (never call me): +49.171.177.1273 · Anonymous calls & suppressed numbers will never be answered. · Dies ist eine Notfall-Nummer für SMS in aktuellen, kriminalistischen Notfällen). · Rufen Sie niemals an. · If it is not an actual emergency, send an e-mail. · If it is an actual emergency, send a text message (SMS) · Never call. · Facebook Fan Site · Benecke Homepage · Instagram Fan Page · Datenschutz-Erklärung · Impressum · Archive Page · Kein Kontakt über soziale Netzwerke. · Never contact me via social networks since I never read messages & comments there.